F1515.

"Darauf bin ich gekommen, aber das ist so irrational wie die Verschwörungstheorien von eben. Geson mußte eine Entscheidung treffen, sonst wären wir alle fünf gestorben." sagte Sillvar

Vorgeschichte: F1514. Danien Wolf: Diese sanfte Umarmung von einem Menschen, der um ein Vielfaches stärker war als ich, tat mir unendlich gut und ich weinte lange

Danien Wolf erzählt:
Als wir danach das Zimmer verließen, fragte mich die Sekretärin, ob ich wirklich auch noch zu dem dritten gehen wollte.
"Ja, denn er darf sehen, daß ich auch Gefühle habe und außerdem hat er durchaus ein Recht darauf, daß ich ihm erkläre, warum ich die letzten 14 Tage keine Zeit für ihn hatte, obwohl er einer der drei Leute war, die sich am anständigsten verhalten haben." antwortete ich während ich die Tür zum nächsten Zimmer öffnete.
"Darum müssen sie sich nicht zu viele Gedankem machen, Herr Wolf, denn ich weiß durchaus, wie Freigeborene sein können, wenn sie verwirrt sind." sagte mir Sillvar XZB12-200-11 und grinste mich an.
"Ja." antwortete ich und erzählte ihm von dem fröhlichen Reigen der Verschwörungstheorien, die ich irgendwie wieder in vernünftige Bahnen hatte lenken müssen, obwohl ich doch eigentlich genug eigene bescheuerte Ideen gehabt hatte. Er hatte natürlich auch eigene verrückte Gedanken dazu, von denen er mir Kostproben gab. Nur wenn man sie ausspricht, nachdem man sie bereits als den Unsinn entlarvt hat, dann wirkt das völlig anders als wenn man sich damit noch ganz verrückt macht, weil man im Nachhinein ja selber nur noch darüber lachen kann.

Er fragte mich, warum ich eigentlich so fertig aussah.
Ich erzählte, daß ich Kelo erwähnt hatte, der inzwischen geschlachtet worden war und daß Serris dann so verständnisvoll reagiert hatte, daß ich in Tränen ausgebrochen bin.
"Ja, man sammelt Erinnerungen an." antwortete auch Sillvar und erzählte, daß er bei seiner ersten Schlacht der einzige Überlebende seiner Einheit gewesen sei.
"Ich hatte auf dem Schlachtfeld die Besinnung verloren und gedacht, daß das jetzt das Ende ist, aber dann bin ich an einem so seltsamen Ort wieder aufgewacht, daß ich mich gefragt habe, ob es den Himmel, von dem die Freigeborenen immer reden, vielleicht doch gibt, obwohl ich wirklich gar nicht an so etwas glaube. Du würdest es wahrcheinlich ein völlig normales Krankenhaus nennen, aber die Krankenhäuser, die ich kannte, sahen völlig anders aus. Wenn keine nackten Schotten zu sehen sind, fühle ich mich einfach nicht zuhause! Dann war aber Geson XZB12-56-78 da, der ein wenig älter ist und mit den Freigeborenen dort schon geredet hat und er hat mir gesagt, daß Dira von Leuenhorst befohlen hatte, uns in ihr Krankenhaus zu bringen. Jedenfalls hat er auch erzählt, daß fünf von uns zu schwer verletzt waren, um ohne Transplantationen zu überleben und daß einer von uns deshalb ausgeschlachtet werden mußte, um uns anderen das Leben zu retten. Das war mein bester Freund und er hatte mir von ihm ausrichten sollten, daß er mir ein langes Leben wünscht."
F1444. Geson XZB12-56-78: Da ich nicht an die Existenz von mythologischen Orten glaube, kam ich zu dem Schluß, daß das wohl eine Art Krankenhaus sein mußte
Der Gedanke traf mich wie ein Schlag, denn im Laufe meiner Karriere hatte ich auch schon einmal miterlebt, wie ein Freund direkt vor meinen Augen gestorben ist. Er hatte keine Zeit gehabt, so etwas zu sagen, was dazu geführt hatte, daß ich mich jahrelang mit Schuldgefühlen herumgeschlagen hatte, die unsinnig waren, weil ich nichts hätte tun können, um ihm das Leben zu retten und selber nur sehr knapp mit dem Leben davongekommen bin. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch, daß die Glühwürmchen nicht für jedes Besatzungsmitglied einen Raumanzug hatten, was eigentlich selbstverständlich hätte sein sollen. Komischerweise waren meine Schuldgefühle jetzt nicht mehr da.
"Er muß dich sehr geliebt haben, wenn das das letzte war, woran er gedacht hat." sagte ich, mit dem Ergebnis, daß er in Tränen ausbrach und ich ihn umarmte.

Ich dachte, während ich Sillvar in den Armen hielt, darüber nach, warum ich diese im Grunde irrationalen Schuldgefühle nicht mehr hatte und kam wieder auf Kelo. Anfangs hatte ich herausbekommen wollen, ob er einen Fluchtversuch mitmachen wollen würde und er vermittelte mir den Eindruck, er könnte sich nicht einmal vorstellen, warum man so etwas wollen könnte. Inzwischen glaube ich, ich habe ihn da falsch verstanden. Zuchtmenschen benutzen so häufig Andeutungen, um sich zu verständigen, daß er meine vorsichtigen Sondierungen so verstanden haben muß, als ob ich ihn ganz direkt gefragt hätte, ob er zusammen mit mir fliehen wollte. Jedenfalls hat er mir danach, ohne zu erklären, warum er diese Bemerkungen fallen ließ, innerhalb von sehr kurzer Zeit sehr genau erklärt, auf welche Fallen ich achten mußte, wenn ich Erfolg haben wollte, nur war mir nicht klar gewesen, daß er das absichtlich tat, weil ich Andeutungen noch nicht näherungweise so gut wie jetzt verstanden hatte. Er hatte auch diverse Bemerkungen fallen gelassen die in die Richtung gingen, daß er sich draußen nicht um sich selbst kümmern könnte. Heute ist mir klar, daß er mir hatte raten wollen, daß ich mich nicht mit ihm belasten soll, weil ein Fluchtversuch zusammen mit jemanden, der gleichzeitig so unerfahren und so schwer behindert ist, gar nicht gelingen kann. Ich habe auch immer wieder mal etwas über meine Schuldgefühle, weil ich ihm nicht helfen konnte, gesagt. Seine Antworten darauf waren eindeutig, denn er hatte mir auf immer wieder andere Weise gesagt, daß er mit seinem Schicksal durchaus selber klarkommen konnte und daß ich mir nicht für Dinge die Schuld geben sollte, die zu ändern nicht in meiner Macht lagen. Und irgendwie hatte mir das nicht nur geholfen, mit den auf Kelo bezogenen Schuldgefühlen klarzukommen, sondern auch mit denen, die sich auf den Freund bezogen, der vor meinen Augen im Krieg gestorben war.

Jedenfalls weiß ich jetzt, daß Kelo ein sehr großherziger Mensch ist, der mir alles Glück für meine geplante Flucht gewünscht hat, die dann doch nicht geklappt hat.

Da ich wußte, daß man nach so etwas auf seltsame Gedanken kommt, fragte ich ihn, ob er manchmal wütend auf Geson gewesen sei, daß er entschieden hatte, daß sein Freund sterben muß.
"Auf solche Gedanken bin ich gekommen, aber das ist genauso irrational wie die Verschwörungstheorien, über die wir uns eben unterhalten haben. Geson mußte eine Entscheidung treffen, sonst wären wir alle fünf gestorben. Außerdem hat er sich sehr intensiv um mich gekümmert und mir immer wieder erklärt, warum er diese Entscheidung getroffen hat."
Danach war der Freund derjenige gewesen, bei dem auch mit bestmöglicher Versorgung das Überleben am unsichersten gewesen war und es war deshalb logisch gewesen, ihn als Organspender auszuwählen. Der tote Freund selbst hatte diese Entscheidung ebenfalls akzeptiert.

Kersti

Fortsetzung:
F1516. Danien Wolf: Ich erklärte, daß eine Diskussion über einen funktionierenden Friedensvertrag, davon handeln müsse, warum wir die Echsen und umgekehrt sie uns für Barbaren halten

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben