94.31.101.189 F1531.

Ich redete mit meiner Frau und war am Ende in Tränen aufgelöst. Ich hatte mich einfach entspannt und dann kam alles hoch

Vorgeschichte: F1544. Sirach von Tyr: Danien Wolf wirkte seltsamerweise, als wäre er mit sich und der Welt zufrieden und das konnte einfach nicht sein

Danien Wolf erzählt:
Auch die Art wie ich ein halbes Jahr nach meiner Rückkehr meiner Familie wiederbegegnet bin, war nicht so, wie wir uns ein solches Wiedersehen geplant hätten.

Eines Morgens wurde mir mitgeteilt, sie hätten etwas Großartiges für mich arrangiert, sie hätten dafür gesorgt, daß ich meine Frau wiedersehen könnte. Obwohl ich sie natürlich vermißt hatte, war das in meinen Augen eher ein Grund zur Sorge, weil sie selbstverständlich auf meiner Seite stehen würde und ich hatte eine wesentlich zu lebhafte Fantasie, also fielem mir dazu einige richtig großartige Verschwörungstheorien ein, die sich ein gut organisierter Geheimdienst daraus hätte basteln können.

Der Geheimdienstmann der das organisiert hatte, fuhr mich bis zur Zimmertür und ließ mich dann allein. Ich fuhr zu ihr hin, sagte:
"Komm laß dich umarmen." richte mich auf dem einen Bein auf und sah ihren Blick.
Mit der naheliegende Frage wartete sie noch bis uns nach der Umarmung, an den gedeckten Kaffeetisch gesetzte hatten.
"Was ist denn mit deinem Bein passiert?" fragte sie.
"Das habe ich paar Echsen zum Abendessen serviert." antwortete ich.
Sie warf mir einen Blick zu, der eine ganze Menge schwer deutbare Gefühle ausdrückte, sagte aber gar nichts.
"Um das wie und warum zu erklären, sollte ich besser ganz am Anfang der Geschichte beginnen, sonst kann ich nicht annähernd verständlich machen, wie es dazu kam." sagte ich.

Ich begann also am Anfang der Geschichte, indem ich sie daran erinnerte, daß wir ja, als ich sie zuletzt zusammen mit meinem ersten Offizier Koris zuhause besucht hatten, darüber geredet hatten, daß man besser zusieht daß man bis zum Tod kämpft, weil man, wenn einen die Echsen gefangennehmen doch nur ewig lange gefoltert und dann aufgegessen wird.
"Das ist uns nicht gelungen, weil sie Lähmstrahler verwendet haben, um uns gefangenzunehmen." schloß ich diese Einleitung ab und überlegte dann, wie ich erklären kann, warum ich diese nächste Phase mit diesen ständigen Foltern bis zur Besinnungslosigkeit nicht einfach aus meinem Gedächstnis streichen wollte.

Vor den Foltern hatte ich nicht gewußt, daß ich zu den Leuten gehöre, die so etwas verkraften und nicht daran zerbrechen. Es war natürlich eine positive Überraschung, daß ich feststellte, daß ich damit fertigwerden konnte und irgendwie trotz allem noch so etwas wie Humor in mir gefunden habe. Wahrscheinlich sollte ich erzählen, wie ich Koris wiedergesehen hatte.

Ich hatte wieder meinen späteren ersten Offizier Koris XZB12-113-20 vor Augen, als ich ihn auf Befehl der Kronprinzessin mit nach Hause gebracht hatte. Damals lebte ich noch bei meinen Eltern und er war noch jünger, aber nicht jung genug, um nicht schon mehrere schwere Verletzungen eingesteckt und überlebt zu haben. In den Übungssimulationen erschien er mir unbesiegbar, was er nicht war, denn wenn er gegen andere Kriegssklaven antrat, waren die ihm gewachsen. Aber bei Simulationen wurde immer darauf geachtet, daß in beiden Mannschaften gleich viele Kriegssklaven teilnahmen, weil sonst niemand gegen sie ankam. Ich fand das sehr frustrierend, merkte aber auch, daß ich enorm viel von ihnen lernte.

Ich werde nie vergessen, als er das erste mal einen Hund sah. Das war ein riesiges schwarzes Vieh, vor dem die meisten Menschen schlicht Angst gehabt hätten und außerdem hatte sich dieses riesige Kalb von Hund bei seiner Besitzerin losgerissen, stürmte auf ihn zu. Mein Offizierstkollege sah ihn mit glänzenden Augen an, strahlte und fragte offensichtlich entzückt von dem Tier:
"Was ist denn das?"
Im Gegensatz dazu war der Hund wohl der Ansicht, daß dieser Mensch wirklich unheimlich war, blieb in zehn Metern Abstand stehen und gab ein irres Gekläffe von sich.
"Wer bist du denn?" fragte er den Hund, der daraufhin noch mehr kläffte, während seine Besitzerin atemlos näher kam.
"Der Hund kann nicht sprechen. Das ist nämlich ein Tier." sagte ich.
"Kann man den anfassen?" fragte er.
Die Besitzerin behauptete ihr unerzogener Köter wäre ganz lieb und er wollte nur spielen. Ich erklärte, daß der junge Mann auf einer Weltraumstation aufgewachsen war, noch nie ein Haustier gesehen hatte und bat die Frau, ihm zu erklären, wie er mit dem Hund umgehen muß. Ich glaubte nicht, daß die gute Frau wirklich weiß, wie man mit Hunden umgehen muß. Der Hund hatte so offensichtlich Angst vor dem entzückten vierschrötigen Kerl, der noch nie einen Hund gesehen hatte, daß jeder, der seinen Hund kennt, das eigentlich bemerkt haben müßte. Andererseits hat sich Koris richtig verhalten, indem er einfach stehen blieb und den Hund anzulocken versuchte, daher ging ich davon aus, daß schon nichts schief gehen würde. Es ging auch nichts schief und er brachte den Hund wirklich so weit, daß er sich streicheln ließ. Ich sah ihm zu, wie sein Gesichtsausdruck ganz weich und liebevoll wurde, während diese riesigen Schaufelhände, die er hatte, den Hund liebkosten.

Diese ganze Wochenende am Boden war wirklich absurd gewesen, weil jeder zweite alltägliche Gegenstand ihm völlig neu gewesen war. Ich mußte einige Leuten erklären, daß Koris nicht verrückt oder schwachsinnig, sondern auf einer Raumstation aufgewachsen war, wo es vieles nicht gab, was uns völlig selbstverständlich ist.

An eine Begegnung während der Foltern mußte ich immer wieder denken. Auf irgendeinem Gang kam mir nämlich mein erster Offizier entgegen. Er sah übel aus. Sein rechter Arm wirkte, als wäre er mehrfach gebrochen und falsch wieder zusammengeheilt und er hatte einige häßliche Narben am Körper, die er vorher nicht gehabt hatte. Er blieb einfach mitten auf dem Gang stehen, so daß er ihn mit seiner breiten Statur völlig versperrte, begrüßte mich herzlich, als würde er die Echsen gar nicht bemerken und fragte mich, wie es mir so ginge. Die Frage war natürlich ein Witz, denn wir waren beide die letzten anderthalb Monate täglich gefoltert worden, normalerweise mit dem Strafer, der eigentlich keinerlei körperliche Spuren hinterläßt. Daher nahm ich an, daß die Verletzungen von seiner Gefangennahme stammten.
"Wie das Leben so spielt." antwortete ich, "in der letzten Zeit waren da ständig so unhöfliche Echsen, die nach Dingen fragen, die sie nun wirklich nicht das Geringste angehen."
"Komisch. Ich kann mir gar nicht erklären warum, aber die sind mir auch begegnet." meinte er und strahlte mich an, als wären wir uns unerwartet irgendwo in einem Urlaubsort begegnet.

Wir konnten uns nicht lange unterhalten denn die Straferimpulse ließen uns ziemlich bald zuckend zusammenbrechen und wir hatten danach einige Zeit zu tun, um wieder auf die Beine zu kommen. Sie waren so klug uns vorher zu trennen, denn ich glaube, wir waren beide in der Stimmung, uns einfach weiter zu unterhalten, um sie zu ärgern. So etwas klingt bizarr, aber es hatte keinen erkennbaren Einfluß darauf wie viel ich pro Tag gefoltert wurde, so daß ich der Ansicht war, daß es völlig egal war, bei welcher Gelegenheit sie ihre Folterallüren umsetzten. So weit mir bekannt war, traktierten sie mich täglich mit so viel Folter, wie sie mir zumuten konnten, ohne daß mein Herz aussetzt. Ich konnte mir also solche Vergnügungen gönnen und war der Ansicht, daß sie schlicht nichts änderten.

Heute bin ich mit so etwas wesentlich vorsichtiger, denn ich bin nicht mehr in einer so aussichtsloesn Situation, daß es wirklich egal ist, was man tut.

Trotzdem war natürlich schwer zu erklären, warum ich immer wieder gerne an gewisse Erlebnisse aus diesen Foltern zurückdachte. Letztlich verstand ich mich da selber kaum. Trotzdem - nun ich bin daran nicht kaputt gegangen sondern irgendwie zu einer vielschichtigeren Persönlichkeit geworden, die Seiten in sich gefunden hat, von denen ich nicht vermutet hätte, daß sie in mir stecken. Beispielsweise hätte ich nicht geahnt, daß ich immer noch strategisch denke, wenn ich vor Schmerzen nicht ein und aus weiß. Ja, irgendwie hatte es damit zu tun, daß mir bewußt geworden ist, was in mir steckt und was ich in harmloseren Situationen an inneren Kräften nie hatte ausleben können. Ich versuchte, das zu erklären.

Meinen damaligen ersten Offizier Koris XZB12-113-20 habe ich nicht wiedergesehen. Ich habe nachgefragt, was aus ihm geworden ist. Nach den Unterlagen hat er bei den Gehorsamsübungen sofort und ohne jeden Widerstand getan, was man von ihm wollte - wohl weil er nicht nachdenken mußte, um den Charakter der Übungen als das zu erkennen, was sie waren. Er wurde schon am nächsten Tag zur Mastanstalt geschickt und noch an demselben Tag geschlachtet. Man fand wohl, daß er schon dick genug ist. Der Schlachter, den ich nach ihm fragte, meinte daß man erkennen hätte können, daß er ein Zuchtmensch sei, denn er sei so zufrieden zum schlachten gegangen wie jemand, der zum schlachten gezüchtet worden sei. Ich glaube daß es ziemlich viel mit Erziehung und ziemlich wenig mit Zucht zu tun hat, denn wenn man so aufgewachsen ist wie mein erster Offizier Koris, braucht man keine Nachhilfe durch Kelo, um zu erkennen, daß eine aussichtlose Situation eine aussichtslose Situation ist.

Von denen, die zusammen mit mir gefangen genommen wurden, lebt außer mir keiner mehr und ich war nie entpannt genug gewesen, um wirklich um sie alle zu trauern. Als ich meiner Frau von meiner letzten Begegnung mit Koris erzählte, begann ich zu weinen.

Mit dieser Episode war ich natürlich noch längst nicht bei der Geschichte mit dem Bein angelangt.

Damit das auch nur näherungsweise verständlich werden konnte, mußte ich ihr natürlich erklären, was Gehorsamsübungen sind und warum ich bei den vorhergehenden Foltern mir einen Spaß daraus gemacht hatte Echsen zu ärgern, während ich bei den Gehorsamsübungen darauf geachtet hatte, daß mir möglichst niemand anmerkt, daß ich etwas dagegen habe, mich selbst zu foltern. Das hatte natürlich genau mit strategischem Denken zu tun. Während der drei Monate foltern, bei denen es darum ging, möglichst viel Geheimes aus mir rauszubekommen, konnte ich tun was ich wollte, sie haben mich immer so lange gefoltert, daß ich gerade nicht an Herzversagen sterbe, Tag und Nacht, fast ohne Pause. Mir war das recht schnell aufgefallen, daher habe ich getan, wozu ich gerade Lust hatte, weil es mir eben nichts geschadet hat, wenn ich irgendetwas tue, nur um die Echsen so richtig zu ärgern. Geheimnisse zu verraten kam natürlich gar nicht in Frage, denn erstens hing davon die Sicherheit meiner Heimat ab und zweitens hätte es mir sowieso nichts gebracht. Die Gehorsamsübungen hatten einen völlig anderen Charakter. Natürlich wünscht man sich bei jeder Folter, daß sie so schnell wie möglich vorbei ist. Ich hätte durchaus den Tod weiteren Foltern vorgezogen, nur hat mir das damals niemand angeboten. Bei den Gehorsamsübungen hatte ich dann Einfluß auf die Dauer der Foltern: Wenn ich gehorsam bin, war abzusehen, daß sie vergleichsweise schnell befriedigt aufhören, weil ich dann in ihren Augen gelernt habe, was ich lernen sollte. Ich glaube, daß ich eigentlich etwas völlig anderes gelernt habe, als sie dachten.

Die ersten drei Monate hatten meinem Selbstbewußtsein gut getan, weil ich mir dache "Ha, ich bin stark, mich kriegt man nicht so leicht klein!", die Woche Gehorsamsübungen stellte dieses positive Selbstbild wieder Kopf. Ich war verwirrt über meine eigene Reaktion und mir wurde erst mit einiger Verzögerung klar, daß ich auch da nur taktisch gedacht habe und nicht etwa feige war. Schließlich wäre durch Ungehorsam nichts zu gewinnen gewesen, was den Ärger wert gewesen wäre.

Kersti

Fortsetzung:
F1540. Danien Wolf: Es war ein "Geschlechtsteile sind halt etwas, was abgeschnitten wird, wenn man in die Schule kommt." und mehr schien er damit nicht zu verbinden

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben