erste Version: 12/2019
letzte Bearbeitung: 12/2019

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Der Bruder des Prinzen

F1577.

Es gab einige Gründe, warum es mir nicht gefiel, daß wir das Bündnis zu ihnen brauchten und dazu gehörte, daß sie Menschen einfach kauften und verkauften, als wären sie Gegenstände

Vorgeschichte: F1833. Saman XZB12-123-77: Es ist schwierig, die Diplomaten vom Reich des Löwen unauffällig zu beobachten, weil die üblichen Tricks, um sich sozial unsichtbar zu machen, nicht funktionieren
F1576. Tanan LZB45-321-37: Ich erklärte ihm auch, daß er ja ein Prinz war und deshalb die Staatsgäste im Namen seines Vaters begrüßen müßte und wie man das macht

Dira von Leuenhorst erzählt:
Im Grunde war ich ja zu jung als Botschafterin, deshalb hatte ich für alles erfahrene Fachleute dabei. Trotzdem gab es außer mir niemanden von der königlichen Familie, den meine Mutter hätte schicken können, also war ich jetzt bei den Feinden, mit denen wir Frieden schließen mußten.

Als ich dort auf den Boden kam, war zwar niemand offen unfreundlich zu mir aber alle waren furchtbar steif, als hätten sie einen Stock verschluckt. Der erste der ein bißchen anders war, war der Pilot des Luftwagens, der mich vom Raumhafen abholen sollte. Er hatte nämlich ein Kleinkind dabei, das er vorschickte, um uns willkommenzuheißen. Ehrlich gesagt war ich so mit dem süßen kleinen Kind beschäftigt, daß ich wohl nicht richtig zuhörte, denn ich fragte ihn, ober er der Vater war, dabei war der kleine Junge der Prinz und der Erwachsene war ein Sklave, der Pilot war. Glücklicherweise war niemand beleidigt darüber und es schien den jungen Mann zu schmeicheln, daß ich ihn für einen Verwandten des Prinzen gehalten hatte. Die beiden sahen sich aber wirklich ähnlich und sie gingen auch miteinander um, als wären sie Vater und Sohn.

Ich hätte ihn beinahe dazu gebracht, mich mit ins Cockpit nehmen. Wie die meisten Piloten war er für ein bißchen weibliche Schmeichelei durchaus empfänglich, doch so weit ich das sehen konnte, hat der Leibwächter des Prinzen da ein Veto eingelegt. Die beiden haben sich nur in Andeutungen unterhalten, doch da ich auch Leibwächter dabei habe, die mich gelegentlich zur Ordnung rufen, wenn ich für ihre Begriffe zu leichtfertig bin, weiß ich, was solche Andeutungen und Winke bedeuten.

Der Leibwächter war der Typ Kleiderschrank: groß und muskulös. Ich hatte daher zuerst gedacht, der soll nur einschüchternd aussehen. Andererseits schien mir das auch kaum glaubhaft, denn immerhin war er Leibwächter eines Königshauses und ein Königshaus bleibt nicht lange an der Macht, wenn die Leibwächter nicht kompetent sind. Die kurze Szene hatte mir gezeigt, daß ich mich getäuscht hatte. Der Kleiderschrank hatte offensichtlich das gesamte Umfeld samt Zeitplan und Etikette im Blick und sorgte dafür, daß jeder sich an seine Regeln hielt. Das war jedenfalls kein Dummkopf. Gleichzeitig trat er so ritterlich auf, daß er mich beinahe zum erröten gebracht hätte.

Daß alle so furchtbar steif waren ging im Palast gleich so weiter. Der einzige, der sich halbwegs normal verhielt war der König selbst und seine Frau wirkte nur ein wenig schüchtern. Alle anderen waren wirklich völlig versteinert vor Höflichkeit. Ich war froh, daß ich wenigstens meine eigenen Bediensteten um mich hatte, die sich mir gegenüber wie Menschen benahmen.

Aber Tanan LZB45-321-37, wie der Pilot hieß, hatte mir versprochen zu kommen, wenn ich ihn rufe und das tat er auch. Ich fragte ihn daher, warum eigentlich alle so furchtbar steif wären.
"Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht mal, ob sie ungewöhnlich steif waren. Daher würde ich gerne Geron fragen, wie er das sieht."
Geron, das hatte mir der Pilot erklärt, war ein Mensch, dessen Gehirn sie aus seinem Körper herausoperiert und in die Elektronik des Palastes eingebaut hatten. Ich hatte ihn gefragt, wie ein Mensch denn mit so etwas fertig werden soll und er hatte mir erklärt, daß die meisten Menschen damit große Probleme haben und daß ein erheblicher Anteil derjenigen, mit denen man das macht, wahnsinnig werden und die Operation deshalb nicht überleben.

Tanan fragte also Geron und der erklärte mir, daß er den Eindruck gehabt hätte, daß sich die Bediensteten mir gegenüber so verhalten haben wie immer. Ich solle bedenken, daß sie Sklaven wären, die jeder Adelige nur so zum Spaß foltern könne, wenn er wolle und daß sie deshalb Grund hätten, vorsichtig gegenüber einer Prinzessin zu sein. Er hätte sich aber sehr über Tanan und Saman XZB12-123-77 gewundert, denn normalerweise wären Zuchtmenschen noch viel steifer als jeder andere und würden nur mit ihresgleichen offen reden. Von Zeit zu Zeit picken sie sich aber irgendeinen Menschen heraus und nehmen ihn in ihren Club auf und mit dem reden dann alle gezüchteten Menschen offen. Er hätte nur nie begriffen, nach welchen Kriterien sie das eigentlich tun. Ich verstand das auch nicht, denn ich war immerhin eine Prinzessin eines verfeindeten Staates aber Tanan hatte sich tatsächlich von Anfang an so verhalten, daß ich das Gefühl hatte, ihn alles fragen zu können, auch die Dinge, die man normalerweise wirklich nicht fragt.

Es gab einige Gründe, warum es mir nicht gefiel, daß wir das Bündnis zu ihnen brauchten und dazu gehörte, daß sie Menschen einfach kauften und verkauften, als wären sie Gegenstände. Außerdem züchteten sie Menschen, wie wir Vieh züchten und taten lauter gruselige Dinge mit ihnen. Sie kamen mir echt wie aus einem Gruselroman vor. Ich mußte mit irgendwem darüber reden, der mehr darüber wußte, weil ich mich sonst auch so verhalten würde, als hätte ich einen Stock verschluckt und Tanan hatte mir immerhin schon gesagt, daß er mir den Stecker gerne zeigen würde, also ging es wahrscheinlich, wenn ich ihn danach fragte.

Daraufhin meinte er, er müßte sich ausziehen und reagierte auf meinem Hinweis, daß mir das zu intim wäre, indem er sagte, daß das nicht sexuell wäre. Dann schlug er vor er könne ja einfach in einen Nachbarraum gehen und ich könne mir das auf dem Bildschirm ansehen. Wir machten das so, weil ich nicht direkt vor einem nackten Mann stehen wollte. Als ich dann aber wirklich sah, wie er nackt aussah, war ich aus einem ganz anderen Grund froh, daß er mich nicht sehen konnte. Er sah nämlich wirklich gruselig aus. Zwischen den Beinen hatten sie ihm alles abgeschnitten, was er wohl mit "nicht sexuell" meinte. Dort gab es nur einen Stecker, wo man den Katheter einstöpseln konnte. Er hatte eine Klappe an der Seite, zu der er erklärte, daß da der künstliche Darmausgang war, mit dem er direkt an die Kanalisation des Schiffes angeschlossen würde, wenn er ein großes Beiboot ein Sternenschiff fliegt. Auf derselben Seite am Hals hatte er einen zweiten solchen Anschluß für die künstliche Ernährung. Und den ganze Rücken hoch ging eine Steckerleiste, mit der er an die Elektronik des Schiffes angeschlossen werden konnte. Wenn er gesehen hätte, wie fassungslos ich das angestarrt habe, wäre das sicherlich sehr peinlich geworden. Tanan schien sein Aussehen nicht peinlich zu sein und er zeigte mir auch an einem Film, wo er das gemacht hatte, wie er sich abends mit diesen Anschlüssen anschließt, wenn er ins Bett geht. Er konnte auch normal essen, aber eben nicht normal aufs Klo gehen, daher mußte er jeden Abend angeschlossen werden.

Er zog sich wieder an und kam zurück in mein Zimmer. Ich wußte immer noch nicht, was ich zu der Geschichte sagen sollte, aber er fand die richtigen Worte, indem er mir sagte, daß er ja wüßte, daß Freigeborene immer erst einmal ziemlich schockiert sind, wenn sie das gesehen haben. Ich solle einfach die dummen Fragen stellen, die mir auf der Zunge liegen, denn er wäre nicht derjenige, der damit ein Problem hätte, er würde das einfach normal finden. Ich fragte ihn, ob er sich denn nicht furchtbar verstümmelt fühlen würde, wenn sie so etwas mit ihm machen.
"Ich habe dazu ziemlich gemischte Gefühle. Einerseits sind die Operationen enorm schmerzhaft und man kann sie sich nicht ernsthaft herbeiwünschen, weil die Drähte die dabei in unseren Körper eingepflanzt werden uns innerhalb von 20 Jahren vergiften. Andererseits hatte ich als Kind das Gefühl, daß mir ganz wesentliche Körperteile fehlen, wenn ich mich nicht in technische Geräte einstöpseln und sie als Erweiterung meines Körpers verwenden kann. Ich verstehe nicht ganz, warum wir da so anders empfinden als Menschen, die nicht zu unserer Zuchtlinie gehören, aber es muß etwas mit Zucht zu tun haben, denn nur Menschen meiner Zuchtlinie empfinden so." antwortete er.
"Hast du dir denn nie eine eigene Familie gewünscht?"
Tanan steckte einen Stecker in die Wand und meinte, daß Familie für ihn sehr wichtig wäre und er mir mal etwas zeigen wollte. Dann zeigte der Wandbildschirm eine ältere Frau mit einem Säugling auf den Arm. Sie erklärte, daß das "eure" jüngste Schwester wäre, die sie am Vortag zur Welt gebracht hätte und wie man sehen könne wäre alles gut gegangen. Dann folgten einige kurze Szenen, wo sie erklärte, wie es diversen älteren Kindern und zuletzt einigen schon erwachsenen Söhnen und Töchtern ging, auch Tanan tauchte in einer Szene auf, wo er erzählte daß er im Palast recht zufrieden war, weil der König normalerweise recht freundlich zu ihm wäre. Zuletzt kamen einige Worte, die offensichtlich ausschließlich an Tanan gerichtet waren. Mich verwirrte daran ein Satz, in dem er aufgefordert wurde, gut auf die "Kleinen" aufzupassen. Als ich danach fragte, antwortete er aber so ausweichend, daß ich wußte, daß ich nicht weiterfragen durfte und das Thema fallenließ.

Danach stellte ich fest, daß nicht nur die offizielle Regierung auf der Suche nach Verbündeten war. Die Sklaven, die in der Zuchtstation gezüchtet worden waren, machten offensichtlich ihre eigene Politik und sie suchten ebenfalls nach Verbündeten, um gewissen Dinge, die mir sehr sympathisch waren, gegen ihre eigene Regierung durchzusetzen. Sie konnten durchaus auch wertvolle Verbündete sein, denn offensichtlich hatten sie - da, wie Tanan mir mitteilte, jedes Schiff von einem von ihnen gewartet wurde - durchaus inoffizielle Kanäle die sehr nützlich sein konnten, wenn wir nicht gerade einen Krieg gegen ihr Reich anzetteln wollten. Auch das hatte er sehr deutlich gemacht und damit begründet daß das Reich auch sein Zuhause sei.

Ich mußte diese unerwartete Entwicklung natürlich mit meiner Mutter besprechen, bevor ich eine eindeutige Zusage geben konnte, aber ich glaube, darauf würden wir eingehen.

Und mit meinen Fachleuten konnte ich das nicht besprechen, die würden das nicht verstehen. Zumindest weiß ich keinen, bei dem ich mir sicher bin, daß er versteht, warum das so viel Sinn macht.

Kersti

Fortsetzung:
F1578. Tanan LZB45-321-37: Ich stellte fest, daß ich in diesem ersten längeren Gespräch mit der Prinzessin viel weiter ging, als ich ursprünglich geplant hatte
F1834. Sevin vom leuchteten Stern: "Du mußt uns einfach vertrauen!" ist nun wirklich keine passende Grundlage für ein Sicherheitskonzept!

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben