erste Version: 5/2020
letzte Bearbeitung: 5/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Verhandlungen mit Glühwürmchen

F1751.

Erst als ich Disa LZB7-42-38 kennengelernt habe, habe ich angefangen Dinge zu verschweigen

Vorgeschichte: F1750. Theorn Tiger: "Er hat gelächelt." sagte Dira und daß Sitar kommen wird, um uns alles zu erklären

Sitar LZB2-37-10 erzählt:
Als das Schiff mit unserer Delegation von den Friedensverhandlungen im Lichtreich zurückkehrte, erhielt ich die Nachricht, daß das kleine Mädchen Dira zu mir kommen, die Zusammenfassung der Friedensverhandlungen vorbeibringen und mit mir reden würde. Das Schreiben war in einem Ton abgefaßt, der mir beunruhigend erschien. Irgendetwas hatte ihnen Mißtrauen mir gegenüber eingeflößt und das machte mir Angst. Gleichzeitig war mir bewußt, daß diese Angst überzogen ist, denn hier muß man sich schon ziemlich etwas leisten, damit man nennenswert bestraft wird. Ich hatte mir nichts vorzuwerfen, aber ich konnte mir durchaus einige Dinge vorstellen, die sie erfahren und in den falschen Hals hätten bekommen können. Also war ich beunruhigt.

Dira ist noch sehr jung aber für eine Freigeborene außergewöhnlich intelligent. Ich ging davon aus, daß das den Delegationsmitgliedern auf der Fahrt auch aufgefallen sein mußte und vermutete, daß sie die Intelligenz des Mädchens nutzen wollten, um mir auf den Zahn zu fühlen.

Dann kam sie her und richtete mir einen schönen Gruß von Theorn Tiger aus, ich solle in Zukunft sagen, wenn ich Briefe von ihnen transportiert haben wollte. Der Satz war eine diplomatische Ohrfeige und wie diplomatische Sprache das oft tut, transportierte er gleich eine ganze Reihe Nebenbedeutungen. Zunächst einmal teilte er mir damit mit, daß sie durchschaut hatten, daß die Datenträger, die ich durch Dira überbracht bekam, verborgene private Nachrichten an mich enthielten. Ich traute ihnen zwar durchaus zu, daß sie sie hätten finden können, wenn sie gewollt hätten, es konnte aber durchaus sein, daß die Vermutung, daß sie privat wären, sie davon abgehalten hatte, denn ihre Vorstellung von Privatsphäre verbot ihnen eine solche Handlung.

Das nächste war, daß sie mir nicht das Vertrauen entzogen hatten, denn sonst hätten sie mir eben nicht angeboten, meine private Post diskret zu transportieren.

Sie erwarteten aber, wie man der Formulierung ebenfalls entnehmen konnte, daß ich ihnen in Zukunft mitteile, wenn sie meine Post transportieren. Ich ging davon aus, daß sie mir nichts gesagt hätten, wenn sie nicht eine weitergehende Erklärung von mir erwarten würden.

Dira war offensichtlich deutlich beunruhigter als ich, wahrscheinlich weil ihr nicht bewußt war, daß dieser Gruß auch die Information enthielt, daß sie begriffen hatten, daß ich mich nicht vor der Delegation des Löwenreiches sondern vor den Freigeborenen des Lichtreiches gehütet hatte, als ich diese Art der Geheimhaltung betrieb. Ich erklärte ihr also, daß sie sich keine Sorgen um mich machen mußte.

Ich steckte mir noch ein paar weitere Unterlagen ein, ließ Dira aber nur etwa eine halbe Stunde Vorsprung, denn die Leute waren von mir gewohnt, daß ich schnell lese. Auf dem Weg zur Besprechung las ich die Berichte der Zuchtmenschen und der Delegation durch und war schockiert, wie anders als geplant alles gelaufen war. Nicht im negativen Sinne schockiert, aber es war so unerwartet, daß ich es kaum fassen konnte.

Dann überlegte ich, wo ich anfangen mußte, um alles zu erklären. Ich selber gehörte noch der ersten Generation der Zuchtmenschen an und war etwa so intelligent wie besonders begabte Freigeborene. Während ich herangewachsen bin, kamen die ersten Kinder der zweiten Generation Zuchtmenschen der Technikerzuchtlinie zur Welt, die da sie Kinder zweier hochintelligenter Zuchtmenschen im Schnitt schon deutlich intelligenter waren als ich.

Meine Kindheit war sehr bedrückend, lediglich im Kindergarten war ich einigermaßen glücklich gewesen, denn dort hat mich zumindest niemand gefoltert. Danach schien alles nur noch aus sinnlosen Grausamkeiten zu bestehen. Als ich dann schließlich, kurz nachdem ich als Erwachsener auf einem Kriegsschiff zu arbeiten begonnen hatte, von einer technisch unterentwickelten Macht gefangen genommen wurde, empfand ich das als große Erlösung und es schien mir, als wäre ich in den legendären Himmel gekommen, den es eigentlich nur in Märchen gibt.

Ich versuchte daher diesen Menschen, die so freundlich zu mir waren, nach Kräften zu helfen und brachte ihnen alles bei, was ich wußte. Nur selten dachte ich darüber nach, daß meine Mutter und meine Geschwister immer noch an diesem bedrückenden Ort lebten, an dem ich aufgewachsen war.

Den Teil der Geschichte kannten die Leute hier.

Erst als ich Disa LZB7-42-38 kennengelernt habe, habe ich angefangen Dinge zu verschweigen. Das lag natürlich nicht daran, daß ich sie in irgendeiner Form hintergehen wollte, sondern zunächst daran, daß ich zum ersten mal ein Empfinden dafür bekam, daß ich nicht über alle meine Erfahrungen mit anderen reden konnte oder wollte. Es gab halt Dinge, die man nur versteht, wenn man selber als Zuchtmensch aufgewachsen ist. Trotzdem mußte ich da anfangen, um zu erklären, was ich verschwiegen hatte und aus welchen unterschiedlichen Gründen das geschah.

Disa war zehn Jahre jünger als ich, aber ungefähr zu der Zeit operiert worden, als auch ich die Drähte für meine Anschlüsse eingepflanzt bekommen hatte. Trotzdem war sie schon erkennbar anders aufgewachsen als ich. Nachdem ich in die Grundschule gekommen war, war alles Schöne im Leben vorbei und ein sadistischer Lehrer tyrannisierte jahrelang die gesamte Klasse, bis ich endlich ins Gymnasium kam. Dagegen wurde der Lehrer, der den Kindern ihrer Klasse Unrecht tat, von irgendjemandem ermordet, der wohl der Ansicht war, wer nicht anständig mit Technikerkindern umgeht, darf mal ausprobieren, ob er auch ohne Technik im Weltraum überleben kann. Disa gehörte zur schlechteren Hälfte der Klasse, was ihr wohl in der frühen Kindheit das Gefühl vermittelt hatte, sie könne nichts richtig machen. Glücklicherweise hatte ihr späterer Vorgesetzter ein Techniker namens Daran LZB2-27-10 diese Sicht korrigiert, indem er ihr erklärt hatte, daß es immer eine schlechtere Hälfte einer Schulklasse gibt und daß sie schon eine sehr gute Technikerin ist, auch wenn sie nicht zur besseren Hälfte der Klasse zählt. Er erklärte ihr auch, daß ihre Mutter sich nur zu viele Sorgen um sie gemacht hatte. Als ich Disa kennelernte, war sie jedenfalls eine selbstbewußte junge Dame, die wußte, wie man seinen Chef so um den Finger wickelt, daß er genau zu den Planeten fliegt, die sie kennenlernen will und wie man zudem dafür sorgt, daß das Schiff, auf dem man fliegt, auch schwarze Zahlen schreibt. Ihr Kapitän machte es ihr insofern leicht, daß er, wie er mir erzählt hatte, sich immer Kinder gewünscht hatte und sie wäre für sie das Kind was er nicht hatte bekommen können, weil man ihn als Säugling kastriert hatte.
FI48.1 Kersti: Wenn man im Kindergarten zu schlecht spielt

Die ersten Nachrichten, die ich mit meiner Mutter austauschte, waren sehr unpolitisch und ich hätte mir auch nicht vorstellen können, daß sie politische Wirkungen zeitigen könnten. Darin hatte ich mich aber geirrt, denn indem ich ihnen erzählte, wie mein Alltag ablief, weckte ich Neugier auf die Kultur, in der ich lebte und das wiederum führte dazu, daß zuerst meine Geschwister und deren Freunde und schließlich alle Techniker wußten, daß eine Gesellschaft auch ganz anders und viel besser organisiert sein kann, als die, in der wir aufgewachsen sind.

In derselben Zeit, wo diese Entwicklungen stattfanden, wurde aus den gelegentlichen gegenseitigen Hilfeleistungen der Zuchtmenschen untereinander nach und nach ein gut organisiertes systematisch ausgebautes Kommunikations-, Spionage- und Planungsnetzwerk, für eine Reform meiner Herkunfts-Gesellschaft, die von den Zuchtmenschen ausgehen würde. Es gab viele verschiedene Scenarien, wie das unter welchen Bedingungen stattfinden sollte und ich konnte beobachten, daß manches davon Schritt für Schritt umgesetzt wurde.

Diese politischen Entwicklungen hatte ich weitestgehend nicht erzählt gehabt, da sie heikle Geheimnisse der Zuchtmenschen darstellten, die, wenn sie hier auf der Straße erzählt worden wären, rausgekommen wären, da die Regierung des Lichtreiches hier durchaus Spionage betreibt. Jetzt erklärte ich all dasjenige, was inzwischen kein Geheimnis mehr darstellte, aber für die Regierung hier wesentliche Punkte der etwas verwirrenden und ziemlich verwirrten diplomatischen Kommunikation klarstellten. Das erklärte ich dann auch so. Ein paar Punkte behielt ich dagegen für mich, da sie, wenn sie rauskämen, immer noch zu Komplikationen führen könnten.

De neuesten Briefe, die mir Dira überbracht hatte enthielten die Nachricht, daß eine Variante des Planes umgesetzt worden war, die mir so unwahrscheinlich vorgekommen war, daß es mir fast unmöglich erschien. Dort war nämlich angenommen, daß der Leiter der Zuchtstation oder der König selbst sich mit den Zuchtmenschen verbünden würde, um die notwendigen gesellschaftlichen Reformen durchzubringen. Wir hatten aber nicht eine von beiden Varianten, sondern der König hatte denjenigen Mann als Leiter der Zuchtstation eingesetzt, mit dem die XZB12-Kriegssklaven schon seit Jahren verbündet waren, um auf ihren Schiffen Reformen durchzusetzen und das, damit er im Auftrag des Königs genau die von uns gewünschten Reformen durchbringt. Das war wirklich eine Nachricht, die ich kaum glauben konnte.

Ich hatte angenommen, die Regierung hier so beraten zu haben, daß sie ankommen, kurz nachdem die Zuchtmenschen durch einen Aufstand die Macht auf der Zuchtstation übernommen haben. Stattdessen kamen sie mitten in einer Umbruchszeit an, in der niemandem klar war, was als nächstes passieren würde, weil mitten in der Umsetzung der ersten Schritte des gewaltsamen Aufstandes plötzlich der König mit seinem Sicherheitschef Tharr vom Licht angekommen war und diverse hochwillkommen Reformen mit einem Handstreich umgesetzt hatte. Witzigerweise hörte Tharr vom Licht sich nur kommentarlos an, welche kriminellen Adeligen alle bereits ermordet worden waren und machte dann an der Stelle weiter, indem er den Rest der Kriminellen innerhalb von 24 Stunden in den Bau bevördern ließ. Der König war zu krank, um uns wirklich dazwischenzufunken, sondern bestätigte Tharrs Befehle nur.

Darüberhinaus erkärte ich der Königin meiner neuen Heimat, daß wir bis zur nächsten Verhandlungsphase einige Modernisierungen in unserer Werftkapazität durchführen konnten, da die technischen Unterlagen Lehrmaterial darstellten, das wir nach und nach in der Universität implementieren konnten. Wir würden es als Ergebnisse erfolgreicher Spionage bei unseren diversen Feinden darstellen, nicht als gezielte Entwicklungshilfe unserer Verbündeten unter den Zuchtmenschen. Ich bat Dira, Silva und Signa möglicht viel davon so zu vemitteln, daß ihre Schüler und Untergebenen den Eindruck hätten, das meiste selbst erfunden zu haben. Einerseits waren sie diesen Lehrstil von mir gewöhnt, andererseits war schon seit Jahren Wissen, das ich von den Zuchtmenschen hatte, durch mich so bei den Studenten eingespeist worden, so daß sie nicht so plötzlich viel kreativer erscheinen würden, daß es auffällt. Ich hatte sowohl meine Quellen verschleiern als auch das Selbstbewußtsein meiner Schüler nach Kräften fördern wollen und glaube, das ist mir das auch ganz gut gelungen.

Kersti

Fortsetzung:
F1752. Die Königin des Löwenreiches, Tamara von Leuenhorst: Ich glaube, die Zuchtsklaven wollten uns damit wissen lassen, daß sie die eigentliche Macht hinter den Kulissen sind

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben