erste Version: 10/2020
letzte Bearbeitung: 10/2020

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Der furchterregende naive Leibwächter

F1837.

Ich war schockiert, daß gerade dieses Ding, das ständig in meine Privatsphäre einbrach, genau wußte, was es falsch macht

Vorgeschichte: F1836. Theorn Tiger: Aus dieser ganz untergeordneten Position heraus war Saman zum Leiter der Palastwache gegangen und hatte erklärt, daß man auf uns aufpassen muß, weil wir zu naiv sind, um zu bemerken, daß die Leute auf der Straße bewaffnet sind

Sevin vom leuchtenden Stern erzählt:
Theorn Tiger kam zu mir und fragte mich, wie man eigentlich einem Menschen, der nie Privatsphäre gehabt hat, erklärt, was Privatsphäre ist. Saman war nämlich zu ihm gekommen und hatte ihn als Fachmann zu Rate ziehen wollen, der ihm diesen Begriff erklären sollte.

Dann erwähnte er, daß Saman auch gesagt hatte, daß er uns eine Leibwache zugeordnet hatte, wenn wir auf die Straße gehen, weil mindestens die Hälfte der Leute, die einem dort begegnen, heimlich eine Waffe dabei hat und damit hatte er mich vom Thema Privatsphäre weg, denn wir hatten diese Leute nicht einmal bemerkt, obwohl wir doch unsere eigene Leibwache in der Menge hatten. Die sollten doch in der Lage sein, eine Leibwache als solche zu erkennen!

Amusant war natürlich, daß sie unsere Leibwache umgekehrt auch nicht als solche erkannt hatten.

Und was ich überhaupt nicht verstehe: Ich glaube Saman, daß er noch nicht einmal einen Monat hier ist, trotzdem zeigt er schon so viel Kompetenz in dem ihm bisher unbekannten Fachgebiet als Leibwache einer königlichen Familie, daß er mich auf dem falschen Fuß erwischt.

Nun ja zumindest nach dem Thema Kriminalitätsraten kann ich ihn fragen, die scheinen höher zu sein, als wir uns hatten vorstellen können. Ich brauchte harte Fakten, um das einschätzen zu können.

Ich ging also zu Saman hin und sagte, daß Unterschiede zwischen Kulturen oft zu Mißverständnissen führen und daß ich daher gerne Zahlen dazu hätte, wie viele Verbrechen es hier gibt. Saman sah mich seltsam an und fragte dann in den Raum:
"Geron, haben wir so etwas?"
Ich war mal wieder schockiert, daß wir wirklich überall überwacht werden, als sofort eine Antwort vom Palastgehirn kam und mir dieses erklärte, daß es nicht üblich sei, derartige Statistiken zu erstellen, daß es aber überlegen würde, wie es selbst zu einigermaßen realistischen Zahlen kommen könne und mir eine Abschätzung geben würde, sobald es sich das überlegt hätte.

Ich fragte genervt in den Raum, ob es hier denn überhaupt keine Privatsphäre gäbe, woraufhin Saman sagte, daß Theorn ihm ja gar nicht erklärt hatte, was das Wort bedeutet und wie er denn da etwas richtig machen soll, wenn ihm nie jemand die Grundbegriffe erklärt.
"Ich weiß aber schon, was der Begriff Privatsphäre bedeutet." antwortete Geron daraufhin.
Ich war schockiert, daß gerade dieses Ding, das ständig in meine Privatsphäre einbrach, genau wußte, was es falsch macht.

Das Palastgehirn erklärte den Begriff dann auch durchaus richtig und es gelang ihm auch, deutlich zu machen, was die heiklen Stellen waren und warum. Als dann Saman fragte:
"Und warum haben wir dann heute keine Privatsphäre, wenn das doch eigentlich etwas Gutes ist?"
"Weil die Leute, die keine Gehirnschiffe sind, uns aus allen Gesprächen ausgeschlossen haben und wir doch nicht ohne menschliche Kontakte leben können." antwortete Geron.
Saman fragte weiter, mit dem Ergebnis, daß Geron ihm erzählte, wie alle Leute die früher seine Freunde gewesen waren, ihn wie eine Maschine behandelt haben, nachdem er zum Gehirnschiff gemacht worden war. Er war der Ansicht, er wäre vor Einsamkeit gestorben, wenn er seinen Kapitän nicht gehabt hätte. Während ich dieser Maschinenstimme zuhörte, mit der Saman so unbefangen redete, begann ich mich zu schämen, denn in meinen Gedanken hatte ich Geron ebenfalls als Ding bezeichnet. Als wenn mich ein Ding in meiner Privatsphäre hätte stören können!

Ich entschuldigte mich bei Geron für meine Gedankenlosigkeit. Das tat ich allerdings nicht sofort - zunächst sagte ich, daß ich überhaupt nicht begriffen hatte, was es bedeutet, wenn man so etwas mit Menschen macht und daß ich mich bemühen würde, es in Zukunft besser zu machen. Doch in den folgenden Tagen fielen mir immer wieder konkrete Fehler ein, die ich gemacht hatte und ich achtete darauf, mich für jeden einzelnen zu entschuldigen, sobald er mir bewußt war.

Witzigerweise hatte das zwei Wirkungen. Einerseits wurde mir damit viel bewußter, daß Geron mich wirklich überall sieht. Andererseits machte ich mir darum immer weniger Sorgen, denn ich lernte ihn kennen und mögen, weil sich aus den Entschuldigungen dann immer Gespräche entwickelten.

Mit der Zeit fragte ich mich, warum ich das nicht gleich so begonnen hatte. Es war schließlich überhaupt nicht mit meiner Aufgabe vereinbar, daß ich vergesse, daß mich ein Palastgehirn überwacht. Mit ihm bei jeder Gelegenheit reden führt dazu, daß ich mehr von den Dingen erfahre, die ich wissen muß und daß ich nicht einfach die Existenz von Geron vergesse, wenn ich daran denken sollte, weil er eben auch nicht alles erfahren sollte.

Geron gab mir dann nach drei Tagen eine Abschätzung der Kriminalitätsraten, die mich ernsthaft schockierte, denn sie lag oberhalb einer theoretischen Grenze, von der unsere Forscher immer angenommen hatten, daß bei dieser Grenze ein gesellschaftliches System zusammenbricht. Das sagte ich dann so und Geron behauptete, sie wären sogar noch höher gewesen, bevor der Vater des jetzigen Königs an die Macht gekommen wäre. Das Gehirn fände die Idee einer Statistik der Kriminalitätsraten übrigens sehr sinnvoll, daher würde es die anderen Gehirne bitten, ebenfalls solche Abschätzungen zu erstellen, die wir dann beim Besuch eines Planeten im Zuchtmenschennetz abfragen können. Die Abschätzung war aufgrund von direkten Beobachtungen durch Geron vorgenommen worden, beruhte also nicht auf Meldungen an die Behörden. Und Geron hatte mich damit schockiert, daß er praktisch jedes Privathaus über deren eigene Geräte überwachen konnte. Er erklärte mir, daß die Leute nichts davon wissen, weil er sich nicht in ihr Leben einmischt, wenn er keinen triftigen Grund dazu hat.

Als ich mir die Grundlagen zu dieser Abschätzung genauer vornahm, stolperte ich über eine Abschätzung, wie genau oder ungenau eine vergleichbare Statistik von uns sein könnte und dort stand, daß unsere Statistiken in Gebieten mit hoher Kriminalitätsrate sehr wahrscheinlich sehr viel unvollständiger sind als in denen mit niedriger Kriminalitätsrate, da Verbrechen um so seltener an die Behörden gemeldet werden, je höher die Kriminalität ist. Wenn man diesen Umrechnungsfaktor berücksichtigt, läge die Kriminalitätsrate auf diesem Planeten knapp unter der Grenze, die wir immer angenommen hatten und war zu Beginn der Regierungszeit des Vaters des jetzigen Königs an dieser Grenze gewesen. Im Schloß selbst und in der Hauptstadt, war sie deutlich niedriger als auf dem Rest des Planeten.

Kersti

Fortsetzung:
F1850. Saman XZB12-123-77: Daß mich oft noch sehr unsicher fühlte, weil ich jeden Tag merke, daß ich mein Fach noch nicht so wirklich beherrsche, wollten mir meine Leute wirklich nicht glauben

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben