erste Version: 9/2021
letzte Bearbeitung: 9/2021

Ägyptische Priesterleben: Ägyptische Priesterleben - Mosesleben

F2110.

Andererseits war er zu brav. Moses hatte nicht einmal darüber nachgedacht, daß er möglicherweise etwas anderes hätte wollen können, als das, was ihm befohlen war

Vorgeschichte: F1987. Kersti: Mit meinem kleinen Bruder konnte ich lange nicht richtig spielen, weil er alles noch nicht konnte

Seman, der Hohepriester erzählt:
Der Pharao war für seine jährliche Inspektion gekommen und Moses, der Sklavenjunge, den er fast wie einen eigenen Sohn aufgezogen hatte, tat die Arbeit eines Schreibers so auffallend kompetent und zuverlässig, wie schon bei unserer ersten Begegnung vor zwei Jahren. Das Kind benahm sich auch, als würde es den Pharao für seinen Vater halten und ihm sowohl den Respekt als auch die Liebe entgegenbringen, die einem Vater gebührt. Umgekehrt schien das aber nicht der Fall zu sein. Der Mann schien das Kind zwar sehr zu mögen, behandelte es aber eher wie einen geschätzten und zuverlässigen Untergebenen als wie ein eigenes Kind. Und wer läßt seinen eigenen Erstgeborenen freiwillig kastrieren, wenn das zweite Kind zur Welt kommt?

Als wir die notwendigen Formalitäten durch hatten, kam der Pharao auf die beiden Sklavenjungen zu sprechen, die er dabei hatte. Den anderen Jungen hatte er wie ein unbedeutendes Anhängsel seines Pflegesohnes behandelt, dabei hatte mir einer unserer Novizen nach einem Gespräch mit Moses erzählt, daß der Junge intelligent und gebildet war. Er wäre wahrscheinlich ebenso in der Lage gewesen als Schreiber des Pharaos zu fungieren wie Moses. Warum er nicht seinen Fähigkeiten entsprechend geschätzt wurde, war mir unklar.

Dann sagte er, er würde erwarten, daß sein Sohn zu hohen Weihen aufsteigen würde, daher wolle er ihn zu uns in den Tempel schicken, der die beste Ausbildung für Sklaven liefert. Ich war schockiert. Man muß wissen, daß unser Tempel einen gruseligen Ruf hat. Es heißt, daß unsere Ausbildung die härteste im ganzen Land ist. Das ist nicht ganz falsch, aber wir machen unsere Schüler stark, wir brechen sie nicht. Trotzdem schien der Pharao sich keinerlei Sorgen um das Wohlergehen des Kindes zu machen, das er seinen Sohn genannt hatte und seinen eigenen Sohn schickte er ja offensichtlich nicht hierher. Ich sah das Kind an, wie er das aufnahm, aber er wirkte beinahe ungerührt, nur mein Blick schien ihn zu irritieren.

Ich erklärte, daß ich mit beiden Kindern einzeln sprechen mußte, um entscheiden zu können, wem ich sie zur Ausbildung zuordne. Der Pharao meinte ich solle mit ihnen so sorgfältig umgehen, wie mit allen meinen Schützlingen und ihnen keine Sonderrechte einräumen.

Als ich mit dem Jungen allein war, fragte ich ihn, ob er den hier im Tempel ausgebildet werden wollte. Er war überrascht über die Frage, dachte darüber nach, erinnerte sich an einige Szenen aus Diros Leben und wirkte zufrieden und einverstanden mit einer Ausbildung hier. Ich glaubte daß er sich das zu einfach vorstellte. Auf den Gedanken reagierte er verwirrt, rief sich ausgerechnet den Tag aus Diros Leben in Erinnerung, wo er gereinigt worden war und wie er darauf reagiert hatte. Ich fragte mich was ihn denn da drauf gebracht hatte, das einem Kind zu zeigen. Der Junge erinnerte sich, wie er als Dreijähriger gereinigt wurde. Das Kind hatte sich von seinem Vater im Stich gelassen gefühlt, der ihm das angetan hatte und ihm dann das Gefühl vermittelte, es dürfe nicht einmal weh getan haben. Diros hatte das bei dem kleinen Kind dann als Hingabeübung erkärt, was dem Jungen das Gefühl vermittelte verstanden und ernst genommen worden zu sein. Ich fand es aber schon ganz schön hart, so etwas einem Dreijährigen anzutun und glaube nicht, daß ich ihn dann erfolgreich Hingabe daran hätte lehren können. Ein Jugendlicher ist doch schon sehr viel stabiler in seiner Persönlichkeit und kann solche Erfahrungen viel besser und vollständiger verarbeiten.

Ich schickte ihn seinen Freund holen und ließ mir in der Zwischenzeit das Gespräch durch den Sinn gehen. Ich hatte die Frage zunächst laut gestellt, weil ich angenommen hatte, daß man von einem Kind nicht erwarten kann, daß es die Gedankensprache versteht, im weiteren Verlauf hatte er jedoch wie selbstverständlich in der Gedankensprache geantwortet und von mir erwartet, daß ich ihn verstehe. Bemerkenswert das Kind. Für ihn schien die Gedankensprache etwas so natürliches zu sein wie für die alten Götter aus den Sagen. Das zweite, was mich erstaunte, war seine Selbstsicherheit. Bei seiner ersten Antwort hatte ich angenommen, daß er nur die positiven Erinnerungen seines Lehrers betrachtet hatte, die es natürlich immer auch gab, daher dachte ich, er würde sich das zu einfach vorstellen. Offensichtlich hatte Diros, mein alter Vorgesetzter, ihm aber auch seine dunkelsten Stunden erzählt, wenn er meinte, das könne seinem Schüler helfen, etwas zu verstehen. Ich fragte mich, wie dieses Kind es hatte schaffen können, damit so entspannt umzugehen.

Andererseits war er zu brav. Er hatte nicht einmal darüber nachgedacht, daß er möglicherweise etwas anderes hätte wollen können, als das, was ihm befohlen war. Und auch das sie ihn kastriert hatten, stellte er als etwas Positives dar, was es nun wirklich nicht war. Bei den Ämtern, die der Pharao für ihn im Sinn hatte, ging ein solches unhinterfragtes Hinnehmen aller Gegebenheiten aber gar nicht. Er mußte die Dinge, über die er später würde mitentscheiden müssen, auch unabhängig beurteilen können.

Der andere Junge war normaler in seinen Begabungen und schien sich mehr Sorgen zu machen, was wir hier mit ihm anstellen. Er wirkte insgesamt rebellischer. Ehrlich gesagt empfand ich seine Ausbildung als die einfachere Aufgabe, weil ihm das Standartprogramm gut dienen würde. Für Moses mußte ich mir dagegen etwas völlig neues überlegen, damit er genau das lernt, was er noch lernen muß. Zwar konnte ich Lücken in seiner Schulung erkennen, aber an manchen Stellen war er weiter als ich, sonst hätte ich nicht so verwirrt auf einiges reagiert.

Ich holte den Brief von Diros hervor, den der kleine Moses mir in einem unbeobachteten Augenblick zugesteckt hatte. Ich las ihn durch und bei dem letzten Satz brach ich in Tränen aus: "Paß gut auf meinen kleinen Jungen auf!" lautete er und genau das hatte mir bei dem Pharao gefehlt. Außerdem verstand ich nicht, warum er das Kind zu uns geschickt hatte. Es hätte sofort in den Tempel des Schweigens gehört, damit es seine Ausbildung für die Arbeit mit den Lichtkristallen beginnt. Warum will der Idiot unbedingt, daß das Kind von für ihn Fremden wie ein Sklave behandelt wird? Die Dinge, die man hier normalerweise lernt, beherrscht der Junge längst. Gut, wenn wir meinen, daß einer unserer Schüler ein wenig mehr Diplomatie lernen muß, damit er in anderen Tempeln vom Adel nicht zu viele Schläge bekommt, behalten wir sie auch länger hier. Aber Moses wäre besser von Diros gleich an den Lichtkristallen ausgebildet worden und das hatte Diros auch so gewollt.

Kersti

Fortsetzung:
F1988. Kersti: Als ich zwölf war, schickte mich mein Vater in den Tempel, in dem Diros ausgebildet worden war

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben