Er saß am Eßtisch seines Hauses und frühstückte
lustlos. Als ich eintrat hob er den Kopf und sah mich fragend an.
"Ich habe gehört, du hast deine Frau verprügelt?" fragte
ich drohend.
"Sie hat gesagt, daß du sterben wirst."
"Aber deshalb mußt du sie doch nicht schlagen! Sie kann doch
nichts dafür, daß ich verletzt wurde. Dafür kann ich
etwas, weil ich alleine losgezogen bin - oder die Feinde, weil sie den
König angegriffen haben, aber deine Frau doch nicht. Mein Gott, es
ist schlimm genug, wenn du dich so hängen läßt, aber deine
Frau, die sich die ganze Zeit um dich und alles hier kümmert, die
darfst du nicht auch noch schlagen. Das hat sie nicht verdient."
"Jetzt ist doch alles egal. Jetzt bist du verkrüppelt und kannst
nicht mehr kämpfen und Gardehauptmann sein. Und du kannst dann auch
nicht mehr anders als trinken... Da ist das ganze Leben doch nichts mehr
wert."
Ich war erschrocken über die Bitterkeit hinter diesen Worten. Und
außerdem stimmte es nicht:
"Das ist nicht wahr. Wenn ich mit einem Arm nicht kämpfen
könnte, hätte ich den Kampf nicht überlebt, denn die
Hälfte der Gegner habe ich erst, nachdem ich verletzt wurde,
besiegt. Außerdem warten alle auf den Tag, wenn ich bereit bin, die
Garde wieder zu übernehmen. Und seit ich aufgestanden bin, habe ich
keinen Tropfen Wein getrunken. Ich rühre es besser auch in Zukunft
nicht an, wenn es solch eine Versuchung ist." antwortete ich.
"Hast du denn keine Schmerzen, wo dein Arm war?"
"Doch. Die meiste Zeit brennt mein verlorener Arm wie Feuer."
antwortete ich.
"Mein Bein auch."
"Ja. Und langsam beginne ich zu verstehen, was in dir vorgeht - auch
wenn ich mich nie so gehenlassen würde. So weit bin ich lange noch
nicht. Es sind nur Sekunden, in denen ich das Gefühl habe, es einfach
nicht mehr ertragen zu können. Sekunden, in denen ich absolut nicht
mehr weiß, wo ich noch die Kraft hernehmen soll, irgendetwas zu tun
oder mich irgendeinem Problem zu stellen, von denen das Leben ja immer so
viele mit sich bringt. In denen ich einfach nur tot sein und keine
Schmerzen mehr haben will. Und wenn ich in mir die Kraft zum Handeln
sammeln will, bricht alles in mir zusammen. Ich warte dann, daß es
vorbeigeht. Und es geht immer vorbei. Aber nicht jeder Mensch hat gleich
viel innere Kraft. Und jedem kann es passieren, daß er etwas erlebt,
das über seine persönlichen Kräfte geht." erklärte
ich.
"Und du wirst wirklich nicht trinken?"
"Ich werde gerade nach und nach einigermaßen wieder gesund. Jeden
Tag fühle ich mich besser als den vorhergehenden. Wenn ich jetzt noch
nicht damit angefangen habe, fange ich auch in Zukunft nicht damit an.
Aber wenn du Deine Frau noch einmal schlägst, dann bekommst du
Schläge von mir." sagte ich.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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