FC14.

Organbank...

Eines morgends kam die Psychologin zu mir in die Zelle, ließ sich von mir die Schlüssel geben, um sie im Büro abzugeben. Kurze Zeit später wurde ich von Wachmännern abgeholt, die meine Hände mit Fesselfeldern auf den Rücken fesselten und mich zu einer Tiefgarage brachten, in der zwei Transporter standen. Vor dem einen Transporter warteten Phaerait, Khaladarith und Ferith. Sie antworteten auf meine telepathische Anfrage, daß sie nicht wissen, wo es hinginge. Vor dem anderen Transporter wartete Daeraith mit ihrem Drachen und die Psychologin. Ich mußte mit ihnen zusammen in den Transporter steigen. Die Türen wurden von außen abgeschlossen, so daß wir in Ruhe miteinander reden konnten.

"Wo kommt Phaerait jetzt hin?" fragte ich.
"Eine neue Aufgabe." antwortete die Psychologin ausweichend.
Ich spürte, daß da etwas Häßliches hinterstand und fragte ein zweites und ein drittes mal nach. Als ich dann immer noch keine klarere Antwort hatte, sagte ich schließlich:
"Erita, du verschweigst mir etwas. Und es ist etwas sehr Häßliches. Ich will die Wahrheit wissen, sonst bereiten mir meine Fantasien darüber, was es alles sein könnte, Alpträume." antwortete ich.
Sie kannte mich inzwischen gut genug, um mir ehrlich zu antworten.
"Er kommt in das medizinische Hauptzentrum des Planeten. Zur Organspende."
"Welche Organe?"
"Nahezu alle."
"Dann ergeht es ihr also keinen Deut besser als ihrem Drachen vor kurzem." stellte ich fest.
Ich schüttelte mich. Immerhin wußte ich jetzt, was sie mit den ganzen Drachenreitern gemacht hatten, die sie abgeholt hatten. Von denen, die nie aufgewacht waren, war nahezu niemand mehr da.
"Warum tun sie so etwas?" fragte ich.
"Phaerait ist als entbehrlich eins klassifiziert."
"Und ich - wie wurde ich klassifiziert?" fragte ich.
Sie antwortete nicht, sah nur verlegen zur Seite.
"Ich bin auch als entbehrlich klassifiziert, wie?" fragte ich.
Ich sah sie prüfend an, bis sie nickte, ohne mich anzuschauen. Jetzt wußte ich zumindest, warum sie heute morgen geweint hatte.
"Wie ist Daeraith klassifiziert?"
"Besser. Sie muß ja den Drachen pflegen."
Das war beruhigend.
"Und die anderen Drachenreiter, wie sind die klassifiziert?" fragte ich weiter.
"Entbehrlich drei."
"Was heißt das?"
Ihr kamen wieder die Tränen. Ich hätte sie gerne in den Arm genommen, aber das war wegen der Fesselfelder nicht möglich. Es war ihren Gefühlen nach zu urteilen deutlich schlimmer als entbehrlich eins. Und selbst bei entbehrlich eins, wurde man laut Gesetz offensichtlich noch nicht einmal als Mensch betrachtet, sondern nur als lebende Organbank. Wenn man etwas braucht, darf man sich jederzeit bedienen. Ich fröstelte.

Ich lehnte mich zurück, schloß die Augen und dachte nach.

Während des Transports schien der Drachenreiter die meiste Zeit zu schlafen. Sein Gesicht war ruhig und friedlich. Wenn er redete, klang seine Stimme gelassen und freundlich. - Und er fragte hartnäckig, bis die Psychologin ihm jede noch so kleine häßliche Einzelheit mitgeteilt hatte.

Die Psychologin fragte sich, wie es möglich war, daß ein Mensch ein solches Schicksal tragen konnte, als wäre da nichts. So ruhig, so entspannt, so selbstbewußt. Jedesmal, wenn sie mit ihm geredet hatte, hatte er ihr mit einem sanften Lächeln eine neue Episode aus der Ansammlung von Katastrophen und Foltern erzählt, das er sein Leben nannte. Und dennoch war er einer des seelisch gesundesten und ausgeglichensten Menschen, die sie kannte. Er schien niemals auch nur einen Augenblick seinen Optimismus zu verlieren. Nur woher nahm er diesen Optimismus? Er hatte doch überhaupt gar keine Chance. Sie hatte ihm gerade mitgeteilt, daß er in absehbarer Zeit zu Tode gefoltert werden würde - und er lächelte versonnen und schlief ein...

Verdammt, er benahm sich einfach nicht wie ein Mensch, sondern wie ein ... ja wie was? Jedenfalls wie etwas, das zu perfekt war, um wahr zu sein.

Als der Wagen anhielt, war ich mit meinen Überlegungen zum Ende gekommen. Im Endeffekt änderte es nichts. Ich hatte meine Situation sowieso als aussichtslos betrachtet. Und mir war sowieso klar gewesen, daß ich recht bald einen grausamen Tod zu erwarten hatte. Und die anderen Drachenreiter hatten es ebenso gewußt. Sie waren nur ins Leben zurückgekehrt um Daera und Daeraith eine Chance zu geben.

 

Die anderen drei Drachenreiter mußten nachdem die Psychologin, Khaerith, Daeraith und ihr Drache abgefahren weren noch einige Minuten warten, bis die Wachmänner mit drei Bahren zurückkehrten. Die letzten drei der Drachenreiter, die nicht aufgewacht waren.

Auf Befehl stiegen sie gehorsam ein und setzten ihre Gedankenunterhaltung fort. Sie überlegten gemeinsam, was den bloß in diesem Krankenhaus mit ihnen gemacht würde. Keiner von ihnen glaubte, daß es etwas Gutes sei. Keinem wollte etwas einfallen, wozu man sinnvollerweise ausgerechnet ins Zentralkrankenhaus gebracht werden müßte, und das nicht gut war. Schließlich beschlossen sie den Wachmann, der sie bewachen sollte, auszufragen.

"Was wird ihm Zentralkrankenhaus mit uns geschehen?"
"Oh, nur eine Untersuchung."
"Ich kann mir keine Untersuchung vorstellen, die bei mittellosen Kriegsgefangenen, für die sich niemand in der Regierung interessiert, angewandt würde, für die man ausgerechnet ins Zentralkrankenhaus muß." widersprach Phaerith.
"Na, ja eine Behandlung ist auch damit verbunden."
"Eine Behandlung? Junge, wir sind gesund. Vollständig gesund. Wir sind voll arbeitsfähig. Ich habe die Beurteilungen der Psychologin gesehen - sie hat uns als geistig gesund und voll belastbar beschrieben. Wenn da eine Behandlung stattfindet, dann ist es keine Routinebehandlung, denn sonst wären wir in irgendein Provinzkrankenhaus geschickt worden. Und es ist auch nicht zu unserem Nutzen, denn wir haben keine Freunde in der Regierung. Es ist etwas schreckliches. Was also ist es?" fragte Ferith.
"Ich weiß es nicht!"
"Das glaubt dir hier kein Mensch."
"Ehrlich!"
"Lügner. Was habt ihr mit uns vor?"
"Ich weiß nicht."
"Unsinn. Was ist es?"
"Eine Operation."
"Warum?"
"Als Organspender für Leute die im Krieg irgendein Körperteil verloren haben..."
Die Drachenreiter tauschten einen bestürzten Blick.

"Wie läuft so etwas ab?"
"Zuerst werdet ihr natürlich betäubt."
"Genauso wie die Drachen?"
"Ja."
"Die Drachen wurden mit Lähmstrahlern gelähmt und dann bei vollem Bewußtsein gehäutet. Manche haben danach noch Tage gelebt mit bestialischen Schmerzen. Wenn es uns genauso ergeht, na danke... Ist es so?" erklärte der Drachenreiter kalt und sehr ruhig.
Der Wachmann sah verlegen zur Seite und gab keine Antwort.
"Es ist so." stellte einer der Drachenreiter fest. Zögernd nickte der Wachmann.

Während der restlichen Fahrt wurde kein lautes Wort gewechselt. Die Drachenreiter führten eine telepathische Unterhaltung untereinander. Nach dem Aussteigen sollten sie sich duschen und auch die schlafenden Drachenreiter waschen - das taten sie und bemühten sich, sie nicht zu wecken - in der Hoffnung, daß sie dann vielleicht auch bei der Operation nicht zur Besinnung kommen würden. Das allerdings erwies sich als vergebliche Hoffnung, denn die Ärzte haben jeden einzelnen vor Beginn seiner Operation geweckt und erst als er voll wach war, die Lähmstrahler angestellt, denn wenn das Bewußtsein im Körper ist, lebt der Körper länger und man hat dadurch die Möglichkeit sich mit dem Ausschlachten mehr Zeit zu lassen. Und dann folgte eine stundenlange Operation vei vollem Bewußtsein, nach einigen Tagen an Lebenserhaltungssystemen weitere Operationen, bis zum Tod.

Die Fahrer öffneten die Tür des Transporters und ein kleiner Mann, der dort auf uns gewartet hatte, führte uns durch einige Gänge in einen kleinen Raum. Dort wurden wir von einem Arzt erwartet, der zuerst Daeraith aufforderte, sich auf die Behandlungsliege zu legen und ihr unter Lähmstrahlen ein kleines Gerät unter dem Schulterblatt einpflanzte. Danach mußte sie vor ihm niederknien und er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander. Über die telepathische Verbindung fühlte ich einen schockartigen Schmerz.

Dann war ich an der Reihe - doch mir wurde nicht nur so ein Gerät eingepflanzt sondern gleich auch noch der Hoden entfernt. Ohne jegliche Betäubung mußte ich die Schmerzen ertragen, nur durch den Lähmstrahler bewegungsunfähig gemacht. Es war eigentlich nur mein Stolz, der mir die Kraft gab, nachher aufzustehen, als wäre nichts gewesen. Vor dem da jedenfalls würde ich nicht weinen. Protest war sinnlos, also sparte ich mir ihn und verließ aufrecht den Raum.

Der kleine kahlköpfige Mann, der mich hierhergeführt hatte, redete mehr als ich in meinem augenblicklichen Zustand haben konnte. Er wollte mich wohl trösten - aber es war schwierig genug, ohne seine ständigen Störungen nicht in Tränen auszubrechen. Er führte uns durch einige unterirdische Gänge in ein Gebäude mit drei Zimmern für uns Menschen und einem Freigehege für den Drachen, das ihm zumindest im Augenblick noch Platz genug zum Fliegen bot. Es gab dort noch ein zweites angrenzendes Freigehege, wo wir durch das Gitter einen zweiten Drachen erkennen konntem. Katira mit ihrer Reiterin Katiraith. Ich hob grüßend die Hand und Katiraith fragte umgehend nach einem Gedankenkristall mit unseren Erfahrungen seit der Invasion. Daera gab ihr den Bericht sofort und offensichtlich hatte sie ihn sogar genügend vereinfacht, daß ein Mensch ihn verstehen kann.

Das Drachenbaby benahm sich wirklich viel zu erwachsen für sein Alter - vermutlich weil es nur zu gut wußte, daß jede Dummheit seinen Tod bedeuten oder seine Reiterin in Gefahr bringen konnte. Ich fragte Katiraith telepathisch, ob sie wüßte, wo das Drachenei sei - aber sie reagierte nicht, lag nur weiter apathisch in der Sonne. - Also fragte ich ihre Reiterin. Sie wußte nicht einmal, daß es in diesem Zoo war.

"Was starrst du sie an? Hast Du noch nie eine Frau mit Narben gesehen?" fragte mich der Mann, der uns hierhergebracht hatte.
Die Narben waren mir gar nicht aufgefallen.
"Doch. Wir haben uns nur ein wenig unterhalten." antwortete ich geistesabwesend.
"Wenn du es wagst, sie zu verachten, dann laß dir eines gesagt sein: du wirst bald viel schlimmer aussehen."
"Darüber bin ich mir im Klaren." antwortete ich.
Merkwürdig, daß er sie so verteidigte...
"Hör auf, auf ihm herumzuhacken." mischte sich die Psychologin ein.
"Das ist ein Entbehrlicher. Auf den kommt es doch nicht an." meinte der Mann.
Er betrachtete mich mit offensichtlicher Verachtung. Schon sein Mitleid am Anfang war mir auf den Geist gegangen - aber in Verbindung mit dieser Verachtung... Ich hob den Blick und sah ihm in die Augen. Einfach nur ansehen, mit weit geöffneten Energiefeld. Nur für kurze Zeit gelang es ihm, meinen Blick zu erwidern, dann wandte er sich ab und verließ wortlos aber hastig den Käfig. Er hatte mehr Schmerz gesehen, als er je erleben wollte.

"Was hast Du mit ihm gemacht."
"Ich habe ihm meinen Schmerz gezeigt. Telepathisch. Er wollte ihn nicht ansehen und ist deshalb gegangen."
"Aber ich dachte, das tut dir nicht weh."
Die Psychologin merkte bei diesen Worten selber, daß es ziemlich albern klang... andererseits - warum nahm er all das, was ihm angetan wurde, so unbewegt hin?
"Oh - jeder körperliche Schmerz tut mir genauso weh wie jedem anderen auch. Seelisches Leid tut mir sogar noch mehr weh, denn dort liegt meine Aufmerksamkeit. Aber ich bin stolz. Ich lasse mich dadurch nicht unterdrücken. Und normalerweise lasse ich andere meine Gefühle auch nicht mitfühlen, wenn es mir so dreckig geht, weil sie nur mit darunter leiden würden und die meisten es nicht halb so gut verkraften wie ich. Aber der ging mir mit seinem Gefasel einfach mehr auf die Nerven, als ich es im Augenblick ertragen konnte."
Es erschien der Psychologin ein merkwürdiger Gedanke, daß man eigenes Leid und Schmerz verwenden könnte, um andere zu vertreiben. Aber es paßte zu Khaerith - alles an ihm war so merkwürdig.

Kersti


FC15. Kersti: Fortsetzung: Khaerit zur Operation!
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FCI. Kersti: Inhaltsübersicht: Damit Drachen leben können
FC1. Kersti: Zum Anfang: Trgerische Ruhe
Thema: Drachen

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