Gefallene Engel


Der Untote

FF11.

Der Heilige

Ich war den Menschen zwar immer noch unheimlich, aber es war bei weitem nicht so schlimm wie früher, als ich die Leichen von Gestorbenen als Körper verwendet hatte. Ich redete manchmal sogar mit Wildfremden und sie waren bereit, mir ganz normal zu antworten.

Ein Jäger erzählte mir schließlich, daß es nicht weit von unserem Lagerfeuer im Wald einen Heiligen gäbe, der alles über den Tod und das ewige Leben wüßte.

Unter dem ewigen Leben konnte ich mir nichts Gutes vorstellen - aber vielleicht konnte er mir erklären, was ich tun mußte, um so friedlich sterben und zur Welt kommen zu können, wie ein Menschenkind, das weder wenn es tot war, noch wenn es lebte Schmerzen hatte, es sei denn es war krank.

Also ging ich zu der Hütte, die der Jäger mir beschrieben hatte und klopfte an. Der Heilige lud mich freundlich an sein Feuer ein und bot mir zu trinken an. Ich freute mich, daß er mit mir redete und nahm an.

Leider erwies sich die Behauptung, daß er alles über den Tod und das ewige Leben wisse, als falsch. Zwar meinte, er eine Lösung für das Problem zu haben, daß ich nicht sterben kann.
"Knie dich nur auf den Boden und schließ die Augen, damit ich es tun kann." bat er.
"Sag mir zuerst, was du vorhast." antwortete ich.
"Wenn ich es sage, dann funktioniert es nicht."
Ich bestand auf einer Antwort, bis er zugab, daß er vorgehabt hatte, mich mit seinem Schwert zu köpfen. Das war so ungefähr das, was ich befürchtet hatte. Ich kannte ja Menschen mit ihren merkwürdig unlogischen Gedankengängen.
"Setz dich wieder hin, Heiliger. Laß uns noch einen Tee trinken und dann erkläre ich dir, warum das nicht funktioniert hätte." forderte ich ihn freundlich auf.
Menschen sind nun mal so. Sie können nichts dafür, daß sie so unrealistisch denken. Ich redete die ganze Nacht mit ihm - und am Ende erlaubte er mir, bei ihm zu bleiben.

Bei dem Heiligen war ich glücklich. Er verlangte nicht viel von mir. Ich kümmerte mich um sein kleines Feld, hielt sein Haus in Ordnung und sammelte in der Wildnis alles, von dem ich meinte, daß es ihm eine Freude machen könnte. Nur wenn er Gäste hatte, meist Menschen, die zu ihm kamen, weil sie krank waren, mußte ich mich verstecken. Deshalb baute ich mir im Wald eine eigene kleine Hütte.

Eines Tages, als er aus dem nahegelegenen Dorf vom Einkaufen zurückkam, gab er mir einen strohgefüllten Beutel.
"Für dich." sagte er.
Ich drückte den Beutel an mich und begann zu weinen.
"Aber warum weinst du denn so?" fragte er erschrocken und nahm mich tröstend in den Arm, was dazu führte, daß ich noch mehr weinte.
"Ich freue mich." brachte ich zwischen den Schluchzern hervor.
"Aber warum weinst du dann? Warum lachst du nicht?"

Ich dachte lange über die Frage nach. Ich hatte noch nie gelacht. Auch nicht gelächelt. Lachen und Lächeln war mir immer wie ein Zähnefletschen vorgekommen, bis ich nach mehreren hundert Jahren begriffen hatte, daß es eine freundliche Geste war. Die meisten Scherze erschreckten mich immer noch zutiefst, weil ich sie nicht als Humor erkannte, ohne daß man ausdrücklich dazusagte, daß es nur ein Scherz war - und auch dann wußte ich noch nicht, was ich damit anfangen sollte und sie jagten mir oft große Angst ein, weil sie oft von schrecklichen Dingen handelten. Kurz: ich hatte keinerlei Humor.

Ich versuchte ihm das zu erklären und als ich zum Ende kam, sagte er mitleidig:
"Armes Geschöpf."
Daß er mich tagelang immer wieder danach fragte, zeigte mir, daß er nicht wirklich verstanden hatte, wovon ich redete.

Der Beutel enthielt Tassen, die seinen eigenen Tassen sehr ähnlich sahen. Er hatte gesehen, wie ich sie immer wieder heimlich in die Hand genommen und gestreichelt hatte, weil sie mir so gefielen.

Ich war etwa ein Jahr bei ihm, als er mir sagte:
"Weißt du übrigends, daß ich am Anfang große Angst vor Dir hatte?"
"Nein. Warum denn?"
"Ich denke, es liegt daran, daß du nicht lächeln kannst. Mit einem Lächeln sagen Menschen einander, daß sie es freundlich meinen. Du hast nie etwas Böses oder auch nur unfreundliches getan - aber weil du immer ein so ernstes Gesicht machtest, dachte ich, das ist alles Verstellung. Ich brauchte sehr lange, um zu begreifen, daß du mich wirklich mochtest - und dabei hast du alles für mich getan, was du konntest, obwohl ich nichts von dir verlangt habe. Ich glaube, daß du nicht lächeln kannst, macht es dir sehr schwer, Freundschaften zu schließen."

Der Heilige hatte oft Gäste. Nur einen Bruchteil von ihnen kannte er selbst, denn die meisten kamen, weil sie gehört hatten, daß er ein sehr guter Heiler war. Wenn er Gäste hatte, mußte ich mich verstecken - das tat ich auch, doch kaum waren sie in seinem Haus, schlich ich zum Fenster und lauschte. Ich beneidete dann immer jeden von ihnen bitter, daß er bei meinem Herrn im Haus sein durften, während ich ausgesperrt war.

Andererseits hatte der Heilige mir erklärt, daß er auf die Dinge angewiesen war, die die Leute ihm als Dank für seine Arbeit schenkten und deshalb gehorchte ich und kümmerte mich um ihre Tiere, wie mir befohlen worden war.

Eines Tages kamen drei Reiter mit einem Mann, der im Kampf schwer verletzt worden war. Als ich an der Tür lauschte, hörte ich wie mein Herr ihnen sagte, daß er für den Sterbenden nichts mehr tun könne. Ich überlegte hin und her und klopfte dann entgegen des strengen Verbotes meines Herrn doch an der Tür.
"Ich habe dir doch gesagt, daß du draußen bleiben sollst!" fuhr der Heilige mich an.
"Ich kann das heilen." sagte ich nur.
"Schadet das dem Verletzten nicht?"
"Nein. So weit ich weiß nicht. Es heilt nur viel besser als bei Leichen, wenn ich an Lebenden arbeite." antworte ich.
"Gut. - Er sieht zwar sehr grimmig aus, Herr, aber ich kenne ihn schon lange und er hat bisher immer nur Gutes getan. Wenn ihr bereit seid, seine Hilfe anzunehmen, gebe ich ihm die Erlaubnis, euren Mann zu heilen." sagte der Heilige.

Der Krieger schaute mich minutenlang wortlos und entsetzt an. Als er sich schließlich wieder gefaßt hatte, fragte er:
"Hast du denn gar keine Angst?"
"Am Anfang schon. Aber jetzt kenne ich ihn und weiß, daß er zwar einen arme verdammte Seele ist, aber ein gutes Herz hat." antwortete der Heilige.
"Also gut - ich nehme die Hilfe an."
Ich kniete mich neben den bewußtlosen Verletzten - er hatte eine schwere Bauchwunde - und begann sorgfältig die zerrissenen inneren Organe zu flicken. Dann ließ ich mir Wasser geben und wusch das Innere des Bauches sorgfältig aus, ehe ich auch das Bauchfell und die Muskeln, Sehnen und Haut der Bauchdecke wieder zusammenflickte. Der Krieger sah ungläubig zu, wie die schweren Wunden innerhalb weniger Sekunden heilten.

"Das ist Magie!" rief er aus.
Eindeutig machte ihm, was er sah, eher Angst, als daß es ihm gefiel und das, obwohl es seinem Freund das Leben rettete.
"Ich habe getan, was ich konnte. Aber er hat viel Blut verloren, deshalb müßt ihr ihm so viel Wasser zu trinken geben wie möglich. Sonst verdurstet er euch." erklärte ich und ging hinaus.

Am Fenster lauschte ich ihren weiteren Gesprächen. Der Heilige sorgte dafür, daß sie meine Anweisung befolgten, indem er nur Gutes über mich erzählte. Mir kamen vor Rührung die Tränen. Ich hatte nicht gewußt, daß er mich so mochte.

Ich blieb bei dem Heiligen, bis er an Altersschwäche starb und heilte noch viele Verletzte. Manche von ihnen waren extra wegen mir gekommen.

Nach seinem Tod übernahm eine andere Untote seinen Körper. Ich sorgte dafür, daß sie ihn vorher um Erlaubnis fragte, war mir aber von vorneherein sicher gewesen, daß er ihr den nutzlosen altersschwachen Körper gönnen würde.

Ich war traurig, als ich mich von dem Geist meines toten Freundes verabschiedete. Einerseits, weil ich wußte, daß ich ihn sehr vermissen würde, andererseits, weil ich mir nichts so sehr wünschte wie selber sterben und zur Welt kommen zu können wie ein Mensch und weil sein Tod mich wieder daran erinnerte, daß ich nicht sterben konnte.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


FF12. Kersti: Folgendes: Suche nach dem Tod
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