Gefallene Engel


Der Untote

FF18.

Epilog

Ich lag auf dem Bett - meinem Sterbebett wie mir klar war - und drängte die Schmerzen zurück. Es war keine eigentlich schwere Krankheit, die mich umbrachte, mein Körper war einfach zu alt geworden, um sich gegen eine harmlose Erkältung zur Wehr zu setzen, die gerade in unserer Gemeinschaft umging. Das war auch in Ordnung so. Lange genug hatte ich dieses Haus geführt und dafür gesorgt daß jeder Untote der durch die Gerüchte, die im Volk umgingen, zu uns geführt wurden, die Wahl hatte, richtig leben und sterben zu können. Ich war froh, diese Pflicht endlich an andere abgeben zu können. Bevor ich ging, hatte ich noch eine letzte Pflicht zu erfüllen und ich wollte eine Geschichte erzählen. Die Hausgemeinschaft hatte sich vollzählig um mich versammelt.

"Vor fast fünfzig Jahren lag mein Herr, der mir alles beigebracht hat und ohne den es unsere Gemeinschaft heute hier nicht gäbe, weil wir alle - außer Velia - heute noch Untote wären - genau hier in diesem Bett im Sterben. Ich kannte ihn schon lange, doch hatte ich nie verstanden, warum es ihm so viel bedeutet hatte, uns das Geschenk des Todes zu geben, statt uns zu hassen, wie richtige Menschen das tun. Doch ich stellte ihm eine andere Frage:
"Sag mal, warum hast du mich immer gefoltert und am Ende meines Lebens befohlen, daß ich mir selbst die Haut abziehen und mich selbst ausnehmen soll, wie ein geschlachtetes Tier?"
"Ich habe dich beneidet. Ich war selber ein Untoter und niemand hat mir geholfen, als ich die Methode erarbeitet habe, die mir das Sterben ermöglichte."
Da habe ich vieles verstanden, was ich vorher nie verstehen konnte und ich mußte ihm versprechen, jedem Untoten zu helfen, der zu mir kam, damit niemand mehr so alleine ist, wie er es damals war. Als letzte Pflicht muß ich meinen Nachfolger ernennen, damit auch in Zukunft jemand dieses Haus hütet. Es muß jemand sein, der jung ist, damit er die Verantwortung lange tragen kann und fähig, damit er auch wirklich jedem helfen kann. Ich dachte an Velia - sie ist erst ein Jahr bei uns - aber sie hat sich fast vollständig selbst befreit, bevor sie zu uns kam und was sie von unseren Methoden noch nicht kennt, kann sie von euch anderen lernen. Und - das ist das wichtigste - sie hat ein gutes Herz." sagte ich.

Die meisten der ehemaligen Untoten waren, als sie zu uns kamen, eher unangenehme Zeitgenossen gewesen. Die Erfahrung, immer wieder ohne Grund mißbraucht, gefoltert und ermordet zu werden, hatte viele von ihnen verbittert. Nur Velia und mich nicht. So ganz kann ich mir nicht erklären, warum wir beiden so anders auf dieses Problem reagiert hatten als die anderen - aber ganz unzweifelhaft war das der Grund, warum wir beiden die einzigen waren, die schon als Untote das große Glück hatten, einige wenige Freunde zu finden. Alle Anderen hatten in dieser Gemeinschaft der ehemaligen Untoten zum ersten mal erlebt, daß jemand sie wirklich liebte.

"Ich?" Velia hatte offensichtlich nicht damit gerechnet.
"Ja du." antwortete ich "Oder will mir jemand widersprechen?"
Alle lachten - sie mit ihrer freundlichen Art war von uns allen die Beliebteste und daran, daß sie fähig war, bestand nicht der geringste Zweifel. Velia war die beste, die, auf die ich so lange gewartet hatte.

Ich konnte beruhigt meine Augen schließen und den verbrauchten Körper verlassen.

Kersti

Quelle: Erinnerung an ein eigenes früheres Leben


FF23. Kersti: Folgendes: Wer bist DU denn???
FF17. Kersti: Voriges: Der Erbe
FFI. Kersti: Inhalt: Gefallene Engel
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EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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