FH3.

Die Linuartina

Die Linuartina hatte die Aufgabe die Lichtkristalle neu zu stimmen, wegen denen diese Außenposten erbaut worden waren. Den Kristall selber durfte ich weder geistig noch körperlich berühren, ich mußte aber die Gebäude und die Maschinen pflegen, die mit diesem Kristall betrieben wurden. Bevor sie kam, mußte ich einen Monat fasten, durfte keine telepathischen Kontakte pflegen, mußte täglich fünf Stunden meditieren und die Räume von allen schädlichen Energien(VA180. Definition Eso) reinigen. Solange die Linuartina da war, durfte ich nicht einmal in meine eigenen Wohnräume, sondern mußte mich in eine winzige Hütte einen halben Kilometer weit weg zurückziehen.

An all diese Regeln hielt ich mich gewissenhaft, denn obgleich ich eigentlich der Ansicht war, daß ich genausogut für solche Aufgaben geeignet wäre wie sie - und daß ich eine solche Aufgabe wollte - lebte ich doch nicht das Leben einer Linuartina und es wäre gefährlich gewesen, ihr in die Arbeit hineinzupfuschen. Nicht nur für sie, sondern für das ganze Land. Nach diesen Zeiten war ich immer sehr traurig, weil es mich so daran erinnerte, was ich eigentlich in meinem Leben hatte machen wollen.

Eines Tages - am Ende der drei Tage, wo die Linuartina arbeiten sollte - kam sie zu mir heraus.
"Was tust du hier? Du weißt doch, daß du nach einem Kontakt zu Außenstehenden wie mir erst ein halbes Jahr der Reinigung einlegen mußt, ehe du wieder arbeiten kannst." tadelte ich sie.
"Die Arbeit hier ist erledigt und ich mache danach sowieso ein paar Jahre Urlaub bei meiner Familie und will Kinder bekommen. Meine Schwester wird sie aufziehen, wenn ich zu meiner Arbeit zurückkehre."
"Ach so." sagte ich besänftigt.
"Aber warum ich eigentlich komme: Ich wollte fragen, warum hier alles so anders ist als an den anderen Außenposten."
"Wie anders?"
"Sauber, ordentlich, die Sicherheitsvorschriften werden beachtet. Die Räume sind mit reiner Energie gefüllt. Wenn auch längst nicht alle Arbeit getan ist."
"Ich kann dir zumindest sagen, warum es anderswo nicht so ist: Die Arbeit ist nicht einmal in der doppelten vorgesehenen Arbeitszeit zu schaffen. Ich beschwere mich seit zwei Jahren bei jedem, der mir lange genug zuhört, um die Beschwerde anzuhören." erklärte ich.
"Das glaubst du doch selber nicht!" widersprach sie.
"Schau in meinen Erinnerungen nach. Aber laß uns dazu hoch ins Haus gehen. Dort sind die Bedingungen dazu besser." sagte ich.
"Was soll ich mit deinen Erinnerungen - ich gehöre nicht zu deiner Familie und bin nicht deine Geliebte." sagte sie.
"Irgendjemanden muß ich überzeugen. Mein Vater hört mir nicht zu und mein Bruder ist in Hochheiligen Bezirk des Tempels in Ausbildung. Du hörst mir wenigstens so weit zu." antwortete ich.

Sie sah mich zuerst fassungslos an - niemand setzt sich freiwillig einer Geistlesung durch einen Fremden aus. Dann wurde ihr Blick nachdenklich und prüfend, sie erspürte mein Energiefeld und die ruhige und sichere Entschlossenheit dahinter.
"Wie du meinst." sagte sie.

Wir gingen gemeinsam hoch zu der Hütte und traten dort ins Krankenzimmer ein. Ich legte mich auf die Liege und sie schnallte meine Arme und Beine so fest, daß ich mich nicht rühren konnte. Das war eine Sicherheitsmaßnahme. Wir waren eben keine Liebenden und es ist nie ganz auszuschließen, daß eine solche Lesung des Geistes zu Krämpfen führt, oder dazu, daß jemand in Panik so um sich schlägt, daß er den Untersucher verletzt. In beiden Fällen ist es auch für den Untersuchten besser angeschnallt zu sein, so daß er sich nicht verletzen kann.

Vorsichtig berührte sie meinen Geist und ich holte sie herein. Dann führte ich sie durch meine Erinnerungen an die Ankunft hier und an all die Monate bis zum heutigen Tag. Als sie fertig geschaut hatte, fragte sie mich verwirrt:
*Aber eines verstehe ich nicht. Warum wurdest du überhaupt hierher verbannt? Ich habe selten einen innerlich so stabilen Menschen geschaut.*
*Ich will dir auch das zeigen.* antwortete ich.
Zuerst zeigte ich ihr, daß ich solange das Universum bestand, nichts Böses getan hatte. Das steigerte ihre Verwirrung erheblich.
*Bedenke, daß die meisten sich nicht weiter zurückerinnern.* erklärte ich ihr.
Dann zeigte ich ihr wie ich noch einmal halb so lange, wie das Universum bestand stets mein Bestes getan hatte, um Gutes zu tun. Das steigerte ihre Verwirrung noch mehr.
*Bedenke, daß ich bis hierhin nichts getan hatte, wofür ich verbannt worden wäre.* gab ich ihr zu bedenken.
Dann zeigte ich ihr das Leben, in dem ich mich dem Guten verschworen hatte. Es war das erste Leben, in dem ich mich daran erinnerte andere gefoltert zu haben.
*Damals habe ich geschworen nur Gutes zu tun - und diesen Schwur habe ich bis zum heutigen Tag gehalten, so gut ich es vermochte.*
Dann zeigte ich ihr all die üblen Dinge, die ich davor getan hatte.
*Das hat die Herren im Tempel so erschreckt. Aber aus meiner Sicht ist es unlogisch zu vermuten, daß ich nach so vielen Millionen Jahren, in denen ich den Schwur nach besten Kräften gehalten habe, ihn plötzlich brechen sollte, nur weil ich beginne, mich zu erinnern, was vorher war.* erklärte ich.

Und so - nachdem ich die Überlegungen für mich selbst in den vergangenen zwei Jahren geordnet hatte, schien es auch ihr einsehbar.

*Ich werde sehen, was ich tun kann, damit du eine Hilfe bekommst.* sagte sie mir.
*Ich bin nicht derjenige, der dieser Hilfe am Dringendsten bedarf. Jedem Außenposten geht es ähnlich wie mir - und ich bin einer von den stärksten, die Ungerechtigkeit und Überforderung ab besten verkraften.* gab ich zu bedenken.
*Es ist aber schwieriger für die anderen eine Lösung zu finden. Dir kann man einen Helfer anvertrauen, ohne um ihn fürchten zu müssen.* sagte sie.
Ich nickte.
*Denk trotzdem über eine Lösung nach. Eine unerfüllbare Aufgabe haben auch Verbannte nicht verdient. Auch ich werde nach einer Lösung suchen.* sagte ich ihr.

Im alten Mu war es undenkbar einen Angehörigen der niederen Rasse in die Hände eines Menschen zu geben, der ihn mißhandeln oder ungerecht zu ihm sein könnte. Das Volk war heilig - und die Herrscher waren verpflichtet ihnen zu dienen und für ihr Wohlergehen zu sorgen.

Das einfache Volk war ebenso wohlhabend in Mu wie seine Herren, hatte jedoch weitaus mehr Freiheiten. Und so harte Strafen wie die Verbannung gab es für das einfache Volk nicht.

Kersti


FH4. Kersti: Folgendes: Das Kastrationsgesetz
FH2. Kersti: Voriges: Unerfüllbare Pflicht
FHI. Kersti: Inhalt: Der Grund für den Untergang von Mu
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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