vor 15.2.00
Die Fee wollte das nicht glauben und forschte deshalb in den alten Legenden ihres Volkes nach einer Geschichte, dessen Held eine Frau war. Doch so lange sie auch suchte, eine solche Geschichte konnte sie nicht finden. So begann sie zu glauben, daß es als Frau wirklich nicht möglich sei, ein Held zu werden und dachte:
"Es wäre ja dumm, wenn mich das hindern würde, mir meinen Herzenswunsch zu erfüllen!" hob ihren Zauberstab, verwandelte sich in einen Mann und zog aus, um ein Held zu werden.
Sieben Jahre wanderte sie durch das Land, ehe sie schließlich
am Rande ihres Weges einen Felsblock fand, auf dem zu lesen war:
Mutig ist, Ein Held ist,
wer die Wüste der
Hoffnungslosigkeit durchquert,
obwohl er längst kein Vertrauen mehr kennt.
wer es wagt zurückzukehren
und die Jungfrau vom Zauber des Drachen befreit.
Das schien ihr die lange gesuchte Möglichkeit zu sein, ein Held zu werden. Also ließ sich die junge Frau, die sich in einen Mann verwandelt hatte, den Weg zur Wüste der Hoffnungslosigkeit weisen. Nach einigen Tagen des Wanderns kam von Ferne die Wüste in Sicht. Zuerst war es nur ein schmaler, schwarzer Strich zwischen blauem Himmel und grünem Land. Doch als sie weiterwanderte wurde er breiter und breiter, bis die Wüste der Hoffnungslosigkeit schließlich ihr ganzes Blickfeld ausfüllte. Es war eine Geröllwüste, die ganz aus den tiefschwarzen Steinen der Verzweiflung bestand. So dunkel, daß sie wie ein einziges düsteres Loch in der Landschaft wirkte.
In einem grünen Tal am Rande dieser Wüste liegt
die Quelle des Vertrauens. Da das Wasser so rein
und erfrischend war, trank die Frau sich daran satt und
füllte ihre Trinkflasche auf, bevor sie
weiterging. Entschlossen schulterte sie ihr Bündel
und wanderte in die bedrückende Schwärze
der Wüste hinaus. Bald schon kamen die ersten
Zweifel: Was wäre, wenn ihr das Wasser des Vertrauens
zu früh ausginge und sie in der Wüste verdursten
müßte? Oder falls sie auf der anderen
Seite zu erschöpft wäre, um sich zu verteidigen
oder zu verstecken, so daß der Drache sie
fressen könnte? Aber sie drehte nicht um. Je weiter
sie ging, desto mehr Zweifel kamen ihr, bis nach
einer Zeit, die ihr wie eine Ewigkeit erschien,
schließlich jeder Tropfen ihres Vertrauens verbraucht
war. Auch das andere Ende der Wüste der Hoffnungslosigkeit
kam nicht in Sicht. Schließlich war die Fee überzeugt:
"Egal was ich tue, ich werde in dieser Wüste sterben."
Sie überlegte, ob sie aufgeben wollte und kam zu dem
Schluß:
"Eigentlich kann ich auch weiterwandern, es macht ja
keinen Unterschied, ob ich hier oder anderswo sterbe."
Die scharfen Kanten der schwarzen Steine zerrissen ihre Schuhe und Füße. Jeder Schritt bereitete unerträgliche Schmerzen. Langsam ging die bleiche Sonne unter, der letzte Schimmer des fahlen Lichts verging. Die Fee stolperte weiter durch das Dunkel und es war ihr, als hätte es Licht und Wärme nie gegeben. Sie ging, als hätte sie vergessen, wie man anhält. Sie entdeckte nicht den hellen Schimmer, der am östlichen Horizont erwachte, sah nicht die grünen Halme, die sich vorwitzig zwischen den Steinen der Verzweiflung nach oben drängten, bis schließlich nur noch das Grün der schönen, wilden Pflanzen zu sehen war. Dann erst blieb sie zögernd stehen und betrachtete voll ungläubigen Staunens das Licht, das über dem Wasser eines kleinen, flachen Teiches aufging und eine wunderschöne Jungfrau beleuchtete, die auf sie zukam und sie zu einer kleinen, sauberen Hütte führte, wo sie in Ruhe schlafen konnte. Als die Fee wieder erwachte, war sie allein. Schmerz und Verzweiflung waren geheilt. So stand sie auf und ging hinaus zum Ufer des kleinen Sees am Rande der Wüste. Sie sah ihr Spiegelbild im Wasser und erschrak. Der Zauber, der sie zum Mann gemacht hatte, war in der Wüste der Hoffnungslosigkeit wirkungslos geworden. Da sie immer noch ein Held werden wollte, erneuerte sie ihn.
Wunderschön war die Drachin, die in den Bergen der Einsamkeit jenseits der Wüste der Hoffnungslosigkeit ihre Heimat hatte. Ihre stahlharten, schützenden Schuppen schimmerten in allen Regenbogenfarben, an ihren Klauen saßen glänzendrote, rasiermesserscharfe Krallen und wenn sie mit in elegantem Schwung aufgespannten Schwingen tödliche Flammen durch ihre nadelspitzen, hell glänzenden Zähne blies, so ergab sich das Bild eines perfekten, leuchtendbunten Feuerwerks. Einst hatte sie auf der anderen Seite der Hoffnungslosigkeit gelebt. Da es dort Männer gab, die es nur darauf abgesehen hatten schöne, unschuldige Drachinnen zu töten, war sie froh, nun in den Bergen der Einsamkeit zu wohnen.
Doch halt, was war das nahe ihrer Hütte? Voll Zorn stürzte sie sich auf den Mann, der es gewagt hatte, ihr Reich zu betreten. Lange dauerte der Kampf zwischen der Frau, die sich in einen Mann verwandelt hatte und der Drachin. Keiner der beiden gelang es, die Oberhand zu gewinnen. Nach Stunden verletzte die Drachin sich schließlich an ihrem eigenen Feuer so schwer, daß sie die Besinnung verlor.
So wurde auch der Zauber, der sie in eine Drachin
verwandelt hatte, einmal unwirksam und ihre Gegnerin
erkannte:
"Uralte Macht, was habe ich getan? Ich habe die
Frau ermordet, die mir das Leben rettete, als ich aus
der Hoffnungslosigkeit kam!"
Entsetzt nahm sie wieder ihre wahre Gestalt an. Um
wenigstens teilweise wieder gut zu machen, was sie als
Mann getan hatte, pflegte sie die Drachenfrau wieder
gesund. Eines Tages fragte die Frau, die ein Held hatte
werden wollen:
"Kannst du mir sagen, was ich tun muß, um eine
Heldin zu werden?"
"Zuerst einmal mußt du dich von den Männern
fernhalten, denn die verderben alles, was sie
berühren." behauptete die Drachin voller Überzeugung.
Die Fee wunderte sich, denn bisher hatte sie das
Gegenteil geglaubt. Doch sie dachte nach und erkannte: Es
waren die Männer, die immer die Kriege führten,
in denen viele unschuldige Kinder starben, die
ihre Frauen schlugen und junge Mädchen vergewaltigten.
Und, als sie versucht hatte, ein Mann zu sein, hätte sie
beinahe die Drachenfrau umgebracht, die ihr
zuvor das Leben gerettet hatte. Frauen dagegen bringen Kinder
zur Welt, pflegen die Alten und die Kranken.
"Ja", dachte die Fee, "Männer sind
tatsächlich böse."
Sieben Monde lebten die beiden Frauen friedlich zusammen, liebten einander und brachten sich gegenseitig bei, was sie in ihrem bisherigen Leben so alles gelernt hatten. Und sie waren sich darin einig, daß Männer böse seien.
Eines Tages, während ihres Morgenspazierganges, als die Drachenjungfrau noch schlief, fand die Frau, die eine Heldin werden wollte, einen Mann. Es war ein halbes Kind noch, das bewußtlos vor Erschöpfung am Rande der Wüste der Hoffnungslosigkeit lag. Das Heldenschwert wirkte viel zu groß, so als hätte der Junge sich die Waffe seines Vaters zum Spielen umgehängt. Er sah so klein, so hilflos aus und die Frau hatte Mitleid, versteckte ihn in einer nahegelegenen Höhle und pflegte ihn gesund, denn er war ja noch kein richtiger Mann.
Als der Tag gekommen war, wo der junge Mann das erste mal
wieder aufstand und ins Freie ging, schwebte die
Drachin wieder einmal hoch über den Wolken und
bewachte ihr Reich. Sie entdeckte einen Eindringling. Er
war zwar noch klein, aber eben ein Mann, der bedrohlich
nah hinter ihrer Freundin stand. Voller Wut faltete
sie ihre schimmernden Schwingen zusammen und stürzte
sich aus luftiger Höhe auf ihn hinab.
"NEIN!" rief die Frau, die eine Heldin werden
wollte und warf sich verzweifelt dazwischen. Die
Drachin fuhr zornig herum und griff in blinder Wut ihre
Gefährtin an.
"Nein", weinte diese, "Nein, wir sind doch
Freundinnen!"
Da kam die Drachin zur Besinnung und nahm wieder ihre
Menschengestalt an. Ungläubig starrte der Mann
die Jungfrau an, die plötzlich da stand, wo vorher
eine Drachin gewesen war. Das Schwert in seiner Hand
war noch zum Schlag erhoben.
"Bitte Junge", sagte die Fee, "Laß das
Schwert sinken. Sie ist wirklich meine
Freundin. Ich muß euch beiden eine Geschichte
erzählen."
Der Junge gehorchte zögernd.
"Du willst einem Mann eine Geschichte erzählen?"
fragte die Drachenjungfrau erstaunt und wütend "Wie
kannst du nur! Alles, was Männer in die Hand nehmen,
verderben sie."
"Frauen sind böse!" widersprach der Junge,
"Manche verwandeln sich sogar in Drachen!"
"Trotzdem", beharrte die Fee, "Kommt mit."
Dann erzählte sie die ganze Geschichte ihres bisherigen
Lebens und endete mit den Worten:
"So kam es, daß ich dich verletzte, weil ich
glaubte, ich würde dir damit etwas Gutes tun.
Weißt du, jetzt glaube ich: es gibt keine bösen
Menschen auf der Welt, nur Menschen, die
unwissend sind und deshalb Falsches tun."
Da nahm die andere Frau ihre Drachengestalt an und erhob sich ohne Erklärung in die Lüfte.
"Was hat sie vor?" fagte der Junge ängstlich.
"Ich weiß nicht", antwortete die Fee, "Ich
denke, wir warten einfach ab. Im Notfall
können wir uns ja verteidigen."
Drei Tage später kehrte die Drachenjungfrau zurück und
fragte unsicher:
"Ich glaube dir, Schwester. Aber jetzt habe ich gar
keinen Grund mehr, mich hinter der Verzweiflung
zu verstecken. Was soll ich tun? Hier ist es so einsam."
"Oh, das ist ganz einfach", antwortete der Mann
fröhlich, "Wir sehen uns die Welt auf
der anderen Seite der Verzweiflung an."
"Das geht nicht", entgegnete die Drachenjungfrau
traurig, "Auf dieser Seite gibt es keine
Quelle des Vertrauens."
"Wenn man zu zweit geht, ist die Wüste nur noch
halb so groß" antwortete der Junge beruhigend.
So machten die drei sich auf in die Wüste der Hoffnungslosigkeit. Sie alle hatten wieder ihre wahre Gestalt, denn in jener Wüste bleibt kein Zauber lange wirksam, wie die drei noch von ihrer jeweiligen ersten Durchquerung wußten.
Düster und trostlos ist die Wüste der Verzweiflung
und keine Erinnerung, kein Wissen schützt
davor, daß man an diesem Ort alle Hoffnung verliert.
Nur das Wasser des Vertrauens wäre eine
Hilfe gewesen, doch das gibt es in den Bergen der
Einsamkeit nicht. Niedergedrückt und ohne Hoffnung
zogen sie dahin. Bald schon hielt die Drachenjungfrau
erschöpft inne und und sagte mit leiser
verzweifelter Stimme:
"Wir werden uns bestimmt verirren."
"Und dann verdursten wir in dieser Wüste."
ergänzte die Fee.
"Beim ersten mal als ich diese Wüste durchquerte,
bin ich nicht umgedreht. Also werde ich das
jetzt auch nicht tun." widersprach der junge Mann fest
und sie wanderten gemeinsam weiter. Kurz darauf
ging die Sonne unter und auch er hielt völlig
verzweifelt inne und sagte:
"Wir schaffen es nicht, jetzt können wir nicht
einmal mehr sehen, welchen Weg wir gehen."
"Wir werden stolpern und uns die Beine brechen."
ergänzte die Drachenjungfrau.
"Beim letzten mal bin ich auch in der Nacht weitergegangen.
Also gebe ich jetzt auch nicht auf."
sagte die Fee fest und sie gingen weiter. Doch bald schon brach
die Fee vor Erschöpfung zusammen und
hatte nicht den Willen, sich wieder auf die Beine zu kämpfen.
"Ich kann nicht mehr", sagte sie, "Es ist ja doch
hoffnungslos."
"Ja, wir schaffen es nicht mehr zur anderen Seite und werden
hier verdursten." stimmte der junge Mann zu.
"Das erste mal bin ich trotz meiner Erschöpfung immer
weitergestolpert, das werde ich jetzt auch
tun." widersprach die Drachenjungfrau und da die anderen
ihr nicht folgten, ging sie alleine weiter und
sah sich suchend um. Plötzlich hielt sie an und rief:
"Seht mal: ein Grashalm!"
Mühsam rafften die anderen beiden sich auf und schauten nach. Wahrhaftig, ein Grashalm! Gebührend wurde die kleine Pflanze bestaunt. Bald darauf fanden sie den nächsten grünen Halm, dann noch einen. Von Pflanze zu Pflanze gehend, bewegten sie sich fort, so lange, bis sie schließlich vor einem kleinen grünen Tal standen, in dessen Mitte die Quelle des Vertrauens sprudelte. Ausgiebig bestaunten die drei die zartgrünen Gräser, die duftenden Kräuter, die bunten Blumen und das Wasser der Quelle des Vertrauens, das die umliegenden Pflanzen mit kleinen, schimmernden Tropfen besprenkelt hatte. Schließlich tranken sie sich satt.
"Es ist schön hier." stellte der Junge fest.
"Ja. Hier wollen wir ein Haus bauen."
bestätigte die Drachenjungfrau.
"Und jedesmal, wenn wir eine Reise machen,
schöpfen wir vom Wasser des Vertrauens und nehmen es
mit." ergänzte die Fee.
Sieben Tage und sieben Nächte ruhten die Freunde sich von ihrer Reise durch die Wüste der Hoffnungslosigkeit aus, dann brachen sie zu einer längeren Wanderung auf. Sie waren noch nicht weit gekommen, als sie einen Stein mit folgender Inschrift am Wegesrand entdeckten:
Mutig ist,
Ein Held ist,
wer die Wüste der Hoffnungslosigkeit durchquert,
obwohl er längst kein Vertrauen mehr kennt.
wer es wagt zurückzukehren
und die Jungfrau vom Zauber des Drachen befreit.
"Weißt du, daß du eine Heldin bist?"
fragte die Drachenjungfrau ihre Freundin.
"Unsinn!", widersprach die Fee, "Ich
habe keine Jungfrau vom Zauber des Drachen befreit."
"Doch das hast du. Früher hätte ich nie
den Mut finden können einem Mann in meiner
Menschengestalt entgegenzutreten. Jetzt habe ich die
Freiheit, jederzeit zu wählen, welche Gestalt ich
anderen zeigen will", erklärte die
Drachenjungfrau ernsthaft, "Ohne deine Hilfe hätte
ich nie mit einem Mann Freundschaft schließen können."
"Dann bist du aber auch ein Held", wandte die Fee
sich an den jungen Mann, "ohne dich
hätten wir beiden Frauen für den Rest unseres
Lebens geglaubt, daß Männer von Natur aus
böse seien."
"Dann ist unsere Drachenjungfrau auch eine Heldin,
denn die Entscheidung, uns beiden zu trauen, mußte
sie selber treffen", ergänzte der junge Mann,
"Komisch, ich dachte immer, Helden
schlagen Drachen tot!"
"Und ich dachte, Frauen könnten keine Heldinnen
werden." ergänzte die Fee.
"Na, wenn ich das gewußt hätte, dann
wären Helden in meinen Augen aber sehr
gefährliche Ungeheuer gewesen." meinte die
Drachenjungfrau und verwandelte sich für den
Bruchteil einer Sekunde wieder in einen Drachen.
Da brachen die beiden Heldinnen und der Held in Lachen aus, und wenn sie sich noch nicht wieder eingekriegt haben, lachen sie noch heute.
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