Das Wort Oneiroid kommt von dem griechischen Wort "oneiros", das "der Traum" heißt. Die Endsilbe -id ändert die Bedeutung des Wortes zu "wie der Traum" oder "etwas Traumähnliches". Der Begriff ist 1924 von Mayer-Gross, einem Heidelberger Psychopathologen, in die deutschsprachige Psychiatrie eingeführt worden.
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2. Beschreibung: Oneiroide sind Träume, die mit dem Wachzustand verwechselt werden, während er tatsächlich nicht in der Lage ist, auf die Außenwelt zu reagieren
Oneiroide sind komplexe Träume bei denen der Erlebende sich als wach empfindet und die er auch im Nachhinein nicht vom Wachzustand unterscheiden kann. Er nimmt aber während des oneiroiden Erlebens nicht die Außenwelt sondern ein Traumgeschehen wahr, an dem er aktiv oder passiv teilnimmt und das für ihn in ihrer Geschlossenheit den Charakter einer "anderen Welt" bekommt. Er nimmt das eigene Ich nahezu normal wahr, ist überwach, kann sich ungewöhnlich deutlich und genau daran erinnern, kann das Erlebnis aber meist nicht steuern. Die Bilder haben intensive Farbender Oneiroide.
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Das Oneiroid spielt meist in der normalen Alltagswelt und ist im Gegensatz zum Nahtodeserlebnis individuell sehr unterschiedlich. Meist sind die erlebten Scenen bedrohlich und spiegeln das völlige Ausgeliefertsein an die Krankheit, die Umwelt und den bedrohlich nahen Tod wider. Sie gehen überwiegend mit negativen, oft angstvollen Gefühlen einher. Die drei dominierenden Themen sind dabei: Gefangener zu sein, etwas Falsches getan zu haben, um die Gefangenschaft zu rechtfertigen und das Thema Tod. Immer wieder scheint auch traumhaft verkleidet die eigene Biographie durch. Dabei werden oft dramatische Erinnerungen, die aber mit der Realität keinen Zusammenhang besitzen, berichtet.
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"In einem ersten noch auf der Intensivstation stattfindenden Gespräch wurde deutlich, dass V.S. so gut wie keine Erinnerung an die konkreten Geschehnisse auf der Intensivstation während der Beatmungszeit besaß. Stattdessen schilderte er, immer wieder von heftigem Weinen unterbrochen, großenteils dramatische Ereignisfolgen, die im Modus unbezweifelbarer Erlebniswirklichkeit erfahren wurden. Er betonte mehrfach, dass die geschilderten Erfahrungen nicht dem üblichen Traumerleben vergleichbar seien. Ungeachtet der Dramatik der Erfahrungen habe er alles wie sonst im Alltag erlebt.
V.S. erzählte, er habe miterlebt, wie ihm freundschaftlich verbundene Nachbarn von vagabundierenden Soldaten in ihrem eigenen Haus erschossen worden seien. Erst seine Frau kann ihn bei einem Besuch davon überzeugen, dass diese Nachbarn noch leben und alles ein schrecklicher Alptraum war."
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Eine andere Erkrankte glaubte, den Tod des Sohnes erlebt zu haben, und begrüßte ihn, als er sie im Krankenhaus besuchte, mit ungläubigem Erstaunen: "Du lebst ja noch!"
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Im Fall des Oneiroids ergibt sich aus der Konfrontation mit der Realität nach und nach die Erkenntnis, daß die Erlebnisse nicht real waren. Aufgrund der Realitätsnähe der Erlebnisse dauert es einige Zeit, bis die Betroffenen sich von der Irrealität der Erlebnisse überzeugen lassen.
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Oneiroide, treten auf, wenn Kranke bei funktionierendem Gehirn tagelang bewußtlos sind.
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Sie kommen beispielsweise bei Menschen vor, die an Polyradikulitis (Guillain-Barré-Syndrom) erkranken. Dabei handelt es sich um eine fortschreitende Lähmung. Bei intaktem Gehirn und damit bei vollem Bewußtsein lebt der Kranke in einem (fast) vollständig gelähmten Körper. Wenn die Lähmung schließlich auch die Atmung erfasst, so dass die Betroffenen künstlich beatmet werden müssen und nicht mehr sprechen könne, verlieren sie ihre letzte verbliebene Möglichkeit, zu ihrer Umwelt Kontakt aufzunehmen. So korreliert bei der Polyradikulitis Guillain-Barré das vermehrte Träumen mit der Schwere der Deprivation infolge fortgeschrittener Tetraparese, künstlicher Beatmung und multipler Hirnnervenbeteiligung. Dementsprechend kommt es beim ausgeprägten Guillain-Barré-Syndrom in bis zu 95% der Fälle zu einem oneiroidalen Erleben.
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Zu den Oneiroid-verursachenden Krankheiten zählen daneben komatöse Zustände, locked-in-Syndrome beispielsweise bei einer Hirnstammischämie, traumatische, postoperative und Wochenbett-Psychosen, schwere Verbrennungen, Impfreaktionen, Hungerzustände, Enzephalitiden, Poliomyelitiden, Hirnverletzungen und Langzeitbeatmungen.
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Nach einer Studie erlebten 25 von 68 Patienten (also 37%), die infolge eines schweren Traumas tagelang bewußtlos bzw. im Koma waren, typische Oneiroide. In einer weiteren Untersuchung hatten 24 (96%) von 25 langzeitbeatmeten Patienten Oneiroide. Mit größerer Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung kommt es zu einer Zunahme der Häufigkeit der Oneiroide.
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Wenn schwer chronisch kranke Menschen danach gefragt werden, was ihre beeindruckensten Erlebnisse in der Intensivatation waren, sind das in 44% der Fälle ihre Träume - also die Oneiroide. Über diese komplexen und beeindruckenden Träume, haben einige Patienten dann auch ganze Bücher verfasst. Die Hilfsbereitschaft des Pflegepersonals wurden dagegen nur in 16%, die Entlassung in 4%, der erste Besuch der Familie in 4% oder die Leiden der Mitpatienten 4% der Fälle genannt.
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Die Oneiroide haben viele eigenarten mit Luziden Träumen gemeinsam: Hypermnesie, Realitätscharakter, Ich-Erleben, Überwachheit, die Aufhebung der Zeitdimension, die intensiven Farben, die besondere Helligkeit und die Überdeutlichkeit der anderen Welt. Oneiroide sind dabei ein präluzides Träumen (Luzidtraum = Wachtraum), weil nicht weiß daß er träumt und deshalb den Verlauf des Traumes nicht bewußt kontrollieren kann. Gelegentlich finden sich Luzidtraum-ähnliche Erfahrungen auch im Oneiroid. 1.19
Brunswig berichtet in einem dreiwöchiges Koma-Oneiroid nach einer Herzoperation im Juni 1991, wie er - ähnlich wie manche Luzidträumer - nach anfänglichem Zögern problemlos von einem Hochhaus springt und weich auf dem Boden landet:
... einen Moment später stehe ich wieder am Rand des Daches, blicke auf die Gartenparty hinunter, und meine Angst vor der Tiefe ist völlig verschwunden. Dann bemerkt mich einer der Gäste auf dem Dach, er deutet mit seiner Hand zu mir herauf und macht gleichzeitig auf mich aufmerksam. Einer nach dem anderen blickt nach oben, bis sie mich dann alle entdeckt haben, und es bricht ungeheurer Jubel unter ihnen aus, wobei mir alle unmißverständlich zu verstehen geben, daß ich zu ihnen herunterkommen soll.
Ich tue nichts lieber als das, und da meine Angst völlig verflogen ist, springe ich einfach von dem Dach herunter, lande einen Moment später zwischen ihnen auf dem Rasen und werde von allen auf das Allerherzlichste begrüßt.
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4.2 Vergleich von Oneiroid, Wachzustand und Nahtodeserfahrung
4.2.1 Das Realitätsgefühl beweist nicht, daß etwas real ist
Menschen die eine Nahtodeserfahrung hatten, sind stets überzeugt, dass ihr Erlebnis real war und sie nicht geträumt haben oder das Opfer einer Halluzination geworden sind. Allerdings findet sich eine ähnliche "Realitätsmeinung" auch bei den so genannten Oneiroiden.
1.7
Sowohl beim Nahtodeserlebnis als auch in den Oneiroiden erscheint das Erlebte real und man nimmt das eigene Ich nahezu normal wahr. Bei beiden ist man überwach, kann sich ungewöhnlich deutlich und genau daran erinnern, kann das Erlebnis aber meist nicht steuern. Die Bilder haben intensive Farben, ähnlich wie bei Luziden Träumen. Beide Erlebnisformen sind durch eine Aufhebung der Zeitdimension gekennzeichnet und dienen dazu die bedrohliche Situation sinnvoll zu verarbeiten. Deshalb läge der Gedanke nahe, Nahtodeserlebnisse als positiv getönte Oneiroide - also Halluzinationen - einzustufen.
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4.14
Der Vergleich von Nahtodeserlebnissen mit Oneiroiden macht deutlich, dass der Realitätseindruck, der mit einer NDE verbunden ist, allein noch kein Argument für die Wirklichkeit des Erlebten ist.
1.7
4.2.2 Nahtodeserlebnisse: Gleiche Grundelemente in individueller Ausgestaltung
Neben den obengenannten Gemeinsamkeiten weisen Nahtodeserlebnisse folgende Unterschiede zum Oneiroid auf: In allen Kulturen und über lange Zeiten hinweg enthalten Nahtodeserlebnisse die gleichen Grundelemente in individueller Ausgestaltung. Sie enthalten überwiegend positive mystischreligiöse Bilder und Gefühle. Das Nahtodeserlebnis enthält Welt- und Krankheitstranszendenz, ist offensichtlich Sinnhaft und hat deutliche, meist positive Auswirkungen auf das weitere Leben.
1.5, 1.6,
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4.2.3 Nahtodeserlebnisse enthalten nachweisbar reale Elemente, Oneiroide nicht
Das zum Nahtodeserlebnis gehörende außerkörperliche Erlebnis enthält eine genaue, distanzierte Wahrnehmung des Körpers und der Umwelt von oben. Die außerkörperlichen Erfahrungen werden ebenso wie bestimmte Erlebnisse während eines Oneiroids im Nachhinein häufig einer Realitätsprüfung unterzogen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Menschen später ihre Erlebnisse und Eindrücke mit anderen am Geschehen Beteiligten abklären.
1.6, 1.7
Auch im Fall von Außerkörperlichen Erlebnissen bei Nahtodeserfahrungen müsste man damit rechnen, dass der Kontakt mit der Realität rasch die Seifenblase eines bloßen Phantasiekonstruktes zum Platzen bringen würde. In Wirklichkeit erwähnen Berichte über Außerkörperlichen Erlebnisse jedoch regelmäßig eine nachträgliche Verifizierung des Erlebten durch die Bestätigung anderer beteiligter Personen, also von Ärzten, Rettungssanitätern, OP-Schwestern oder Angehörigen.
1.7
O7.39
Außerkörperliche Erfahrungen enthalten außersinnliche Wahrnehmungen
Auch wenn eine Person durch eine Begegnung im Nahtodeserlebnis vom Tod eines Bekannten erfährt, bestätigt sich das öfter.
O7.57
Begegnungen mit toten Familienangehörigen und Freunden in Nahtodeserlebnissen
Die Erinnerung an ein Oneiroid wird normalerweise als eine Erinnerung an ein reales Ereignis gedeutet, daher handelt es sich um die Erinnerung an ein Oneiroid um eine False Memory.
VB167.
False Memories - falsche Erinnerungen und wie sie entstehen
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5,
34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
https://www.kersti.de/,
Kersti_@gmx.de
Da ich es leider nie schaffe, alle Mails zu beantworten, schon mal
im voraus vielen Dank für all die netten Mails, die ich von
Lesern immer bekomme.
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