Im Grunde sollte es einen wundern, woher diese Vorhänge überhaupt kommen und auch die Höhlensysteme an sich scheinen keinem sinnvollen Zweck zu dienen - außer dem, gefährlich zu sein sowie Schätze und magische Gegenstände für Helden zu enthalten. Dennoch enthalten alle echten Rollenspielwelten diverse derartige unterirdische Höhlensysteme. Sie sind geradezu durchlöchert wie ein Schweizer Käse. Und in diesen Höhlensystemen gibt es Vorhänge. Es wäre ein wichtiges Thema für eine weitere wissenschaftliche Untersuchung, ob die Rollenspielwelten statisch sicher sind oder ob eine weitere magische Absicherung ihrer Grundfesten notwendig wäre, damit sie nicht zusammenbrechen.
Bisher konnte noch keine allgemeingültige Erklärung für das Auftauchen der Helden in diesen gefährlichen Höhlensystemen festgestellt werden - es scheint einfach eine geistige Gesetzmäßigkeit zu sein, daß Rollenspielhelden in solche Höhlensysteme hineingeraten, ob sie es wollen oder nicht.
Nachdem sie ein wenig darin gegangen sind, gelangen sie zum ersten Vorhang. Es ist halt ein Vorhang. Man schiebt ihn zur Seite, geht hindurch und dann begegnet einem eine Riesenspinne, mindestens zwei Meter groß.
Nachdem die glücklich überwunden ist und man ein wenig weiterging, legt man beim durchqueren von Vorhängen schon eine etwas größere Vorsicht an den Tag. Man schleicht leise zum Vorhang hin und schaut durch den Spalt, ob dort nicht vielleicht etwas Gefährliches hinter lauert. Als man so dort steht, fällt ein Netz von oben auf einen herab und man gerät in die Gefangenschaft von Orks.
Nachdem man sich glücklich aus deren Kerker befreit hat, während sie noch den unglücklichen Vorgänger verspeisen - es gibt schließlich keine ausbruchssicheren Kerker - erscheint es ratsam, nicht ganz so lange vor dem Vorhang zu verweilen. Also schaut man sich bei der Annäherung sorgfältig um, ob da nicht irgendwo ein Netz über dem Vorhang bereithängt, um auf unaufmerksame Helden hinunterzufallen. Während der Blick noch nach oben gewandt ist, landet man durch eine Falltür eine Etage tiefer, wo ein Drache auf seinem Schatz wacht.
Diesmal sind die Helden schnell genug durch eine Seitentür geflohen, um nicht geröstet zu werden. Nur der Mantel der Magiers ist leicht verkohlt.
Doch dort lauert schon der nächste Vorhang. Eine wachsame Musterung und Untersuchung von Decke, Boden und Wänden, führt keine Gefahren zutage - als der Elf der Gruppe jedoch den Vorhang zur Seite schiebt, löst sich das Fleisch seines Arms in der ätzenden Säure auf, mit der der Vorhang getränkt war.
Nachdem Magier und Heiler den Arm in Teamarbeit geheilt haben, geht die Gruppe weiter zum nächsten Vorhang, den sie diesmal vorsichtig mit einem Schwert zur Seite schieben. Leider wird dadurch ein Mechanismus ausgelöst, der den Krieger, der das tat, einen Stein auf den Kopf fallen ließ. Wieder sind Magier und Heiler eine Weile beschäftigt, ehe die Reise weitergeht.
Da der nächste Vorhang vom gleichen Typ wie dieser zu sein scheint, nehmen die Helden nach einer gründlichen Voruntersuchung Anlauf und springen hindurch. Leider war hinter diesem Vorhang eine Wand, die den Helden einige Beulen beschert, bevor der Stein herunterfällt und weitere Rettungs- und Heilungsaktionen nötig werden, ehe es weitergehen kann.
Beim nächsten Vorhang erkundet der Magier mit dem magischen Auge, was dahinter los ist, ehe alle hindurchspringen. Leider waren es zwei Vorhänge, zwischen denen sich ein Spinnennetz befand. Nur der Zwerg, der wieder einmal beleidigt, war, weil er sich mit dem Elf gestritten hatte, konnte rechtzeitig abbremsen.
Nachdem er die anderen aus den Spinnennetz losgeschnitten hatte, gehen sie diesmal wieder langsamer zum nächsten Vorhang hin und schneiden ihn mit dem Schwert oben ab, ehe sie hindurchgehen. Leider löst das einen Mechanismus aus, durch den vor und hinter den Helden Fallgitter herunterrasseln, die den Gang absperren.
Alle Versuche, sich hier zu befreien schlagen fehl. Dabei ist ein der Ferne eine riesiger verlockender Haufen Gold zu sehen.
Nach einigen Tagen fruchtloser Befreiungsversuche bricht die Decke des Ganges ein, ein Abenteurer fällt zwischen die erstaunten Helden und erzählt folgende Geschichte.
"Eigentlich wollte ich mich zur Ruhe setzen, habe mir ein kleines
Häuschen auf dem Lande gekauft und den Garten immer nur extrem
vorsichtig umgegraben, damit ich nicht in eine Höhle mit
Vorhängen falle. Eines Tages grub ich mal wieder meine Garten
um - sehr vorsichtig - ihr wißt ja wie es in der Welt zugeht...
Und mittendrin hat mir ein Drache von hinten auf die Schulter getippt
und ich bin vor Schreck hier reingefallen."
"Ein Drache?" fragt der Magier, der sofort einen Ausweg wittert "Hallo
Drache, wenn du uns befreist bekommst du ganz viel Gold!"
Der Drache holt die Helden aus dem Kerker und fragt wo das Gold ist.
Der Magier läßt sich zuerst versprechen, daß jeder der
Helden eine Drachenhand voll von dem Gold bekommt und sagt dann, wo es
liegt.
Seither haben die Helden nur noch eine Sorge - von Zeit zu Zeit geraten sie unter rätselhaften Umständen in ein Höhlensystem mit Vorhängen, die ja bekanntlich sehr gefährlich sind...
Eine Behauptung muß ich aber revidieren - Rollenspielwelten sind für Helden nicht wirklich so gefährlich. Im Verlaufe mehrerer Jahre des Rollenspielens habe ich festgestellt, daß sich die Bevölkerung der Rollenspielwelten in zwei Gruppen gliedert - das sind Helden und Statisten. Helden sind nahezu unsterblich, jede noch so schwere Verletzung heilt bei magischer Behandlung vollständig wieder aus - sollte das einmal ausnahmsweise nicht der Fall sein, steht eine große Auswahl voll funktionsfähiger teurer magischer Prothesen zur Verfügung, die den Helden durch rätselhafte Zufälle zufallen. Statisten aber sind nur dazu da, von Helden erschlagen zu werden, ihnen als Auftraggeber zu dienen oder etwas zu verkaufen. Sie sterben oft an wesentlich geringeren Verletzungen als Helden und können zumeist nicht halb so gut kämpfen wie diese.
Allerdings kann ich nicht ausschließen, daß auch diese nur tot zu sein scheinen und in Abwesenheit der Helden von einem Höhlenmagier wiederbelebt werden. Das könnte in Rollenspielen eventuell deshalb nicht auffallen, weil diese speziellen Statisten sich daraufhin kein zweites mal an dieselben Helden heranwagen. Von Zeit zu Zeit scheint es, dem Hörensagen nach zu urteilen, jedenfalls so zu sein, daß zwei völlig verschiedene Heldengruppen nacheinander dasselbe Abenteuer bestehen und dabei denselben Statisten begegnen und sie erschlagen.
Außerdem ist ziemlich sicher, daß Statisten weder von Vorhängen angefallen werden, noch unbeabsichtigterweise in Höhlen geraten. Deshalb ist anzunehmen, daß Statisten beinahe ausschließlich durch Angriffe von Helden sterben.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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