"Ich habe eine Botschaft vom König." antwortete der
Gardist.
Meine Mutter zuckte zusammen bei diesen Worten. Die letzte Botschaft war
gewesen, daß Korith ihr Sohn schwer verletzt war und vermutlich
sterben würde. Sie hatte ihn besucht, aber die Arbeit am Hof hatte
ihr längst nicht so viel Zeit dafür gelassen, wie sie gewollt
hätte. Ihr ging nicht mehr aus dem Sinn, wie jämmerlich mager
ihr Sohn ausgesehen hatte. Bestimmt war er gestorben.
"Ist Korith tot?" fragte sie.
"Nein. Aber nahe dran. Und der Arzt meint, er bräuchte Menschen
um sich, die er liebt und denen er vertraut, wenn er wieder gesund werden
soll. Und da ein König so viele Verpflichtungen hat, die ihm niemand
abnehmen kann, bittet er dich, zum Hof zu kommen. Er wird auch eine seiner
Mägde hierherschicken, damit sie sich so lange um euren Hof
kümmern kann." erklärte der Gardist.
"Aber wenn er so lange überlebt hat, müßte es ihm dann
nicht langsam besser gehen?"
"Das hat es auch. Aber Korith dieser verrückte Hund ist einfach
zur Hochzeit nach Longhold geritten."
"Warum habt ihr ihn nicht daran gehindert?" fragte meine Mutter
zornig.
"Wir haben es versucht - sobald wir es gemerkt haben. Aber wenn Korith
sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kommt doch niemand gegen ihn an."
in der Stimme des Gardisten klang Frustration und Ärger mit.
Meine Mutter dachte zurück an das Kind, das ich gewesen war. Im Gegensatz zur Garde hatte ich zuhause wenig Ärger gehabt. Meine Mutter hatte mir immer sehr viel Freiheit gelassen, wenn die Arbeit uns nicht gerade alle einspannte. Sie hatte mich als einen freundlichen Jungen in Erinnerung, der fleißig bei der Arbeit half und hunderttausende an neugierigen Fragen hatte. Ärger hatte es selten gegeben, weil ich nichts wirklich gefährliches und nichts, das anderen schadete, tat. Und ich war hilfsbereit gewesen, ein richtig lieber Junge, fand sie. Aber bei den wenigen Gelegenheiten, wo es Ärger gegeben hatte, da hatte sie schließlich nach Monaten nachgegeben, weil ihr kleines Kind nicht nachgab.
Und dann dachte sie an einen älteren Jungen, der sie besuchte und ihr
seinen besten Freund bei der Garde vorstellte. Niemand hatte Verdacht
geschöpft. Erst nach dem Attentat hatte sie erfahren, daß es der
Prinz war. Der Gardist hatte recht, mußte sie zugeben: Es war
schwierig, Korith von Dingen abzuhalten, die er sich in den Kopf gesetzt
hatte. Meist erwischte man ihn nicht dabei und wenn doch, kam man nicht
gegen seinen sturen Kopf an.
"Wie hat er das geschafft?" fragte sie und der Gardist
erzählte ihr die ganze Geschichte, während sie ihre Sachen
zusammenpackte. Dann gingen sie gemeinsam hinaus, der Gardist stieg auf
sein Pferd, meine Mutter auf das ledige Pferd, daß er für sie
mitgebracht hatte. Sie ermahnte ihren jüngsten Sohn vernünftig
zu sein und gut auf alles achtzugeben, bis sie zurückkäme, dann
ritten sie los.
Der Ritt dauerte etwa eine Stunde. Kurz vor dem Könishof kam ihnen
eine Reiterin entgegen. Meine Mutter erstartte, als sie das Pferd sah und
fauchte die Frau an:
"Das ist Koriths Pferd. Niemand außer ihm darf darauf reiten!"
"Korith ist krank und kann nicht reiten. Ich werde nicht zulassen,
daß auf meinem Hof ein Pferd vernachlässigt wird, nur weil
sein Reiter krank ist. Und zwar völlig unabhängig davon, was
sein Reiter oder dessen Verwandte davon halten." antwortete die junge
Unbekannte viel ruhiger als meine Mutter.
Meine Mutter verstummte für einen Augenblick verblüfft. Genau so
redete Korith wenn es um die Pferde der Garde ging.
"Wer seid ihr?" fragte sie schließlich.
"Liranna, die Königin."
Meine Mutter sagte nichts mehr, denn ihr kam in den Sinn, daß ich
einmal gesagt hatte: "Liranna geht mit Pferden genauso um wie ich. Ihr
würde ich glatt mein Pferd anvertrauen."
"Wie geht es ihm?" fragte sie schließlich.
"Heute Morgen war der Arzt äußerst verwundert, daß er
die Nacht überlebt hat. Ich habe aber den Eindruck, daß sich
sein Zustand inzwischen nicht verschlechtert hat." antwortete
Liranna, die junge Königin.
"Das heißt, wahrscheinlich ist er morgen früh tot?"
fragte meine Mutter herausfordernd. Sie war kurz davor in Tränen
auszubrechen.
"Ich glaub's irgendwie nicht. Korith meinte gestern zum Arzt, er
wäre zu starrsinnig zum sterben. Das traue ich ihm glatt zu."
widersprach Liranna mit einem seltsamen Lächeln.
"Was fällt dir ein darüber zu lachen?" fauchte meine
Mutter sie an.
"Ich mag Korith. Er ist ein seltsamer Mensch. Sehr stark."
antwortete Liranna.
"Und was ist dann daran lustig, wenn er krank ist?"
"Korith hätte auch gelächelt. Er hat eine
unglaubliche Lebensfreude." antwortete Liranna.
Sie ritt mit zurück, übergab das Pferd im Hof an einen
Stallburschen führte meine Mutter an mein Bett. Mutter betrachtete
meinen armen verstümmelten Körper, der blaß und krank im
Bett lag, strich mir die Haare aus dem eingefallenen blassen Gesicht, das
Falten hatte, die vor ein paar Wochen noch nicht dagewesen waren.
*Er sieht jämmerlich aus.* dachte sie.
Diesmal blieb sie wochenlang am Königshof und hielt abwechselnd mit meinem Bruder und seiner Frau am Krankenbett Wache, während eine der Dienerinnen des Königs ihren Hof verwaltete. Die Königin und der König konnten seltener kommen, denn nicht alle Arbeiten, kann man an Untergebene abgeben, aber auch sie nahmen sich täglich etwas Zeit für mich.
Je länger meine Krankheit dauerte, desto mehr Schuldgefühle stiegen in meiner Mutter auf. Sie dachte an an meinen toten Onkel und meinen verletzten Bruder und machte sich Vorwürfe, uns zur Garde geschickt zu haben, wo wir so verletzt worden waren.
Es waren Monate voller Qual, in denen mein Leben auf Messers Schneide stand. Ich durfte den ersten Monat nichts essen, damit die Wunde heilen konnte, ohne ständig durch den zerrissenen Darm von innen heraus verschmutzt zu werden. Dann, als der Darm einigermaßen dicht war, nahm er ein Messer, schnitt die bisher von ihm zur Reinigung des inneren Unterleibs offengehaltenen Wundränder an und drückte sie zusammen, damit sie zusammenwuchsen. Das war eine einzige Qual.
Schließlich war ich nach langen Wochen wieder weit genug
hergestellt, um zu einer längeren Unterhaltung mit ihr stark genug
zu sein. Als sie wieder einmal still und traurig neben meinem Bett
saß, sprach ich sie an:
"Mutti?"
"Korith? Du bist wach?" antwortete sie.
"Ja. Ich war oft wach - aber zu schwach zum sprechen. Ich habe gemerkt
daß du da bist und das hat mich gefreut." erklärte ich.
"Und du hast ja so wenig Grund zur Freude..." meinte sie.
"Das stimmt nicht. Ich freue mich, daß mein Bruder sich wieder
gefangen hat, daß es seinen Kindern gut geht, und daß man
seine Frau jetzt wieder öfter lächeln sieht. Ich freue mich
über Lirannas und des Königs Besuche, darüber daß
sie schwanger ist und sich auf das Kind freut." zählte ich
lächelnd auf.
"Aber der Arzt meint, du wirst nie wieder richtig gesund." sagte
sie.
"Ich weiß. Das ist eben Pech." antwortete ich.
"Pech!" sie schien geradezu empört.
"Pech." ich lächelte über ihren Zorn.
"Bist du mir böse, daß ich dich zur Garde geschickt
habe?"
"Nein, wie kommst du denn auf den Gedanken?" fragte ich
zurück.
"Ich habe dich hierhergeschickt und jetzt bist du ein
Krüppel."
"Und ich wußte, wie gefährlich meine Aufgabe ist und
hätte dennoch um nichts in der Welt woanders sein wollen als bei
meinem Freund und König. Du hättest mich nicht einmal zwingen
können, wieder von hier fortzugehen - wie kann ich dir dann
böse sein?"
"Aber wenn du ihn nie kennengelernt hättest, dann wärest du
jetzt noch gesund."
"Vielleicht. Aber ich hätte ihn auch nicht kennengelernt und nie
eine so enge Freundschaft erlebt. Nein, Mutti, ich bin zufrieden mit
meinem Leben. Auch wenn der Preis für meine Entscheidungen hoch
ist."
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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