Wegen der leichten Verletzungen wurden wir gar nicht erst gefragt. Die
Zeloten wußten, daß so viel Arbeit für uns nicht zu
bewältigen gewesen wäre. Sie brachten uns gleich zu den vier
Schwerstverletzten, die ohne uns gestorben oder fürs Leben schwer
verkrüppelt gewesen wären.
Maria deutete auf einen Mann, dessen eines Bein am Knie fast abgetrennt
war, so daß nicht essenische Ärzte das Bein sofort ganz
abgenommen hätten, da klar war, daß es durch die wenigen noch
heilen Adern nicht ausreichend mit Blut versorgt werden konnte.
"Darum kümmerst du dich zuerst." sagte sie zu mir.
Die anderen Wunden waren ebenfalls tief, doch war kein weiteres
Körperteil von der Blutversorgung abgetrennt.
Also begann ich mit dem Bein. Ich nahm Nadel und Faden aus meiner Heilertasche und fügte mit möglichst wenigen Stichen alle Knochen, Sehnen, Bänder und Muskeln so genau wie möglich wieder zusammen. Das war nötig, damit möglichst wenig Narben zurückblieben.
Dann ging ich in einen leicht entspannten Zustand, in dem ich die Aura sehen konnte, deren Bestandteile man auch als feinstoffliche Körper bezeichnet. Ich begann mit dem gröbsten Körper und flickte auch darin alles, was zerrissen war, wieder zusammen und ich reinigte ihn von Giften. Dann ging ich in den nächsthöheren Körper und arbeitete daran weiter. Nach und nach arbeitete ich mich so bis zu den feinsten Energien(VA180. Definition Eso) hoch, die ich noch wahrnehmen konnte. Als ich fertig war, begann ich schließlich um Kraft zu beten. Ich spürte, wie mir eine feiner Strom reiner Energie zufloß und lenkte ihn in die Aura des Beins. Ich betete weiter, bis das Bein nichts mehr annahm. Dann senkte ich meine Wahrnehmung wieder auf das Alltagsbewußtsein ab und schaute nach.
Die Wunde war vollständig verheilt, nur eine häßliche knotige Narbe war zurückgeblieben, die aber die Brauchbarkeit des Beins nicht beeinträchtigen würde. Ich war nicht zufrieden mit meiner Arbeit.
Dann nähte ich alle anderen Wunden auf einmal und heilte auch den Rest der verletzten Aura.
Als ich nach der Arbeit wieder zu mir kam, war ich noch weniger zufrieden mit meinen Erfolgen. Es hatten sich zwar alle Wunden geschlossen, aber die Narben waren häßlich. Der Mann würde vermutlich für den Rest seines Lebens mit Narbenschmerzen zu kämpfen haben.
Ich mußte einsehen, daß meine Erfahrung, die ich an kleineren Kratzern meiner Spielkameraden gesammelt hatte, einfach noch nicht ausreichte, um es besser zu machen. Und ich war nun mal der beste Heiler in erreichbarer Nähe. Jetzt wußte ich, warum in Karmel bei ernsthaften Verletzungen immer der beste verfügbare Heiler mit solchen Aufgaben betraut wurde. Während alle Kinder, die diese Form des Heilens lernen wollten, dazu angehalten wurden, jeden unbedeutenden Kratzer, den sie bei sich selbst oder ihren Spielkameraden fanden, auch tatsächlich richtig zu heilen. Man kann einfach nicht so viel Übung bekommen, wie man eigentlich bräuchte.
Dann löste ich mich innerlich von der getanen Arbeit und alles begann, sich um mich zu drehen. Mir wurde schlecht. Ich biß die Zähne zusammen und zwang meinen Magen wieder an den Platz, wo er hingehörte. Ich ärgerte mich über mich selbst. Genau davor hatten mich meine Lehrer immer gewarnt. Ich hatte mich so sehr verausgabt, daß jeder Versuch, noch etwas zu heilen, für mich lebensgefährlich wäre. Dabei hatte ich bisher nur einen der vier Verletzten geheilt.
Ich schaute mich um. Maria war klüger vorgegangen. Sie hatte zuerst
einmal die Wunden aller Verletzten genäht. Nun kam sie zu mir und
sagte:
"Ich kann bei dem Mann dort drüben eine Blutung nicht stillen. Du
mußt dich darum kümmern. Du kannst Wunden schließen."
"Nein. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe mich verausgabt. Du
mußt das machen." sagte ich.
"Aber Tios konnte das doch nicht. - Ich habe es nie gelernt."
"Dann führe ich dich durch die Arbeit - die Aura kannst du doch
sehen, oder?"
"Ja."
"Gut. Laß uns anfangen."
Wir gingen zu dem Mann hinüber und ich sah sofort, daß sie viel sauberer genäht hatte, als es mir gelungen war. In Zukunft würde ich bei schweren Wunden das Nähen ihr überlassen und selbst an kleineren Sachen üben.
Wir setzten uns gegenüber und ich sagte:
"Richte deine Aufmerksamkeit auf die unterste Ebene der Aura."
"Was ist die unterste Ebene?"
"Wenn du keine verschiedenen Ebenen zu trennen gelernt hast, schau dir
einfach die Aura an. Das ist dann die unterste Ebene. Bist du soweit?"
"Ja."
"Gut. Was siehst du?"
Schritt für Schritt sagte ich ihr, was sie tun mußte und als
sie mit der untersten Auraebene fertig war, hob ich mit meiner Energie
ihre Aufmerksamkeit auf die nächsthöhere Ebene und wir
arbeiteten dort weiter.
Die letzten beiden Auraebenen bearbeitete ich dennoch selbst, da ich Marias Aufmerksamkeit nicht so hoch anheben konnte. Doch diese eine Blutung war zumindest gestillt und ich fühlte mich nachher nicht schlechter als vorher. Das heißt, mir war kotzübel.
"Maria, hast du inzwischen alle Arbeit getan, die du heute noch schaffen wolltest?" fragte ich.
"Nein. Ich will noch drei Verbände anlegen. Dann bin ich fertig."
"Gut. Ich warte auf dich. Ich kann jetzt nichts mehr machen."
Sie sah mich mißbilligend an und beugte sich dann wieder über
ihre Arbeit. Als sie fertig war, fragte ich sie, ob man die Männer
jetzt zwei Tage allein lassen könne, ohne sie in Gefahr zu bringen.
"Also ich wollte morgen noch einmal hingehen und nach ihnen schauen."
meinte sie spitz.
"Gut mach das. Wir müssen uns morgen auch noch einmal
zusammensetzen und alles durchsprechen. Ich habe heute einige Fehler
gemacht, die ich nie wieder machen will." sagte ich.
Da wurde ihr Blick sanfter. Sie nickte.
Die Zeloten brachten uns nach Hause und bedankten sich mehrfach bei mir.
Am nächsten Tag, als ich mittags aufwachte, wurde mir schon davon
schwindelig, daß ich mich aufsetzte. Ich bat Maria, mir etwas zu
essen ans Bett zu bringen, dann aßen wir gemeinsam. Nicht,
daß ich Appetit gehabt hätte. Im Gegenteil: das Essen ekelte
mich an. Aber es stärkt die Verbindung zum Körper, die ich
durch meine übertriebene Energiearbeit zu sehr geschwächt
hatte. Also zwang ich es herunter und zwang mich, es auch unten zu
behalten. Als ich meinte, absolut nichts mehr schlucken zu können,
sagte ich zu Maria:
"Die Zeloten waren von meiner Arbeit sehr beeindruckt, während sie
das, was du getan hast, als nicht so wichtig eingeordnet haben. Doch
ich für mich mußte mir sagen:
Wenn ich mich alleine um die Männer hätte kümmern
sollen, wären drei der vier Männer gestorben. Bei dir
hätten es vermutlich alle überlebt, nur einer hätte ein
Bein verloren. Deine Arbeit war eindeutig besser.
"Ach, merkst du es auch schon? Einfache Leute lassen sich immer gerne
von im Grunde nutzlosen Zauberkunststücken beeindrucken." sagte
sie spitz.
Ich warf ihr einen verärgerten Blick zu und fuhr fort:
"Wenn du erwartest, daß sie die wirklich wichtigen Sachen wichtig
nehmen, dann erwartest du zu viel. Wie gut, daß wir zusammen dort
waren. So werden nämlich trotz meiner Fehler alle
einigermaßen gesund. Noch etwas. Ich möchte dich bitten,
daß in den nächsten Monaten du die schweren Wunden
nähst und ich nur leichtere Sachen. Und ich will, daß du dir
ansiehst, was ich nähe und mir erklärst, was ich besser
machen kann. Ich kann da noch viel von dir lernen. Deine
Fähigkeiten im Heilen von Energiefeldern wendest du dagegen zuerst
nur an, um die kleinen Kratzer kleiner Kinder zu heilen oder in
Fällen, wo du die Wahl hast, Felder zu heilen, oder eine Wunde
auszubrennen, damit dein Patient nicht verblutet. Da finde ich selbst
meine Fähigkeiten erschreckend schlecht." sagte ich.
"Du bist einfach ein unerfahrenes Kind. Ich brauche dich nur anzusehen,
um zu wissen, daß du gestern nur zwei Sachen hättest heilen
dürfen. Das Bein, das der Mann sonst verloren hätte und die
Wunde, wo ich dich darum gebeten habe." putzte sie mich herunter.
Ich nickte: "Jetzt weiß ich das auch."
"Na, wenigstens siehst du deine Fehler ein." meinte sie herablassend.
Ich nickte. Ich fand ihre Herablassung nicht angemessen, hielt es aber
für besser, dazu zu schweigen. Selbstverständlich bin ich
bereit, aus meinen Fehlern zu lernen.
Aber ich war mir ziemlich sicher, daß kein Schüler Karmels es beim ersten mal besser gemacht hätte. Die Anderen haben am Anfang nur einen älteren Heiler vor der Nase, der auch entsprechend selbstbewußt auftritt, weil er weiß, welche Fehler unerfahrene Heiler machen, die gerade von der Schule gekommen sind und wenn sie tausendmal die besten Schüler Karmels waren. Maria hatte mich einfach überschätzt und den Wert ihrer eigenen großen praktischen Erfahrung in selbstständiger Arbeit unterschätzt. Ich wußte ja nicht einmal, wieviel Heilarbeit ich auf einmal bewältigen konnte, geschweige denn, wie ich meine Kräfte einteilen mußte.
Nun ja. Aus Erfahrung wird man klug.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615,
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