Reinkarnationserinnerung - Ein Kriegerleben

FA3.

Der Angriff

Eines Tages wurde unser Dorf angegriffen. Ich wurde zusammen mit den anderen Kindern in die geschützten Höhlen des Felsennestes geschickt, das dem Kriegervolk als geheimer Schlupfwinkel diente. Dort warteten wir, bis uns spät am Abend eine Kriegerin abholte. Wir älteren Kinder - ich war zehn - halfen die Babys abseilen und sie wurden unten von ihren Müttern an die Brust gelegt. Ich fand es erschreckend, zu sehen, wie oft eine andere Frau als die Mutter des Kindes vortrat und es zusätzlich zu ihrem eigenen an die Brust nahm. Vier Frauen fehlten. Ich wußte, daß sie entweder tot oder schwer verletzt sein mußten. Im Gänsemarsch kehrten wir zurück ins Dorf, in dessen Mitte schon das Versammlungsfeuer brannte. Die Runde der Menschen um dieses Feuer war viel zu klein.
"Setzt euch, Kinder." sagte meine Mutter mit leiser, heiserer Stimme. Sie sah sehr müde aus. Wir Kinder setzten uns zwischen die Erwachsenen und hörten wie betäubt zu, als meine Mutter aufzählte, wer verletzt oder im Kampf gefallen war. Mein Vater war tot. Aus fast jeder Familie war einer gestorben, manchmal auch zwei. Verletzt waren noch wesentlich mehr. Der Mann von außerhalb hatte mitgekämpft und dabei einen Arm verloren. Danach gab es eine lange Diskussion, in deren Verlauf die Familiengruppen neu eingeteilt wurden. Jedes Kind mußte mindestens zwei erwachsene Bezugspersonen haben. Außerdem kann eine Frau oder ein Mann nur eine begrenzte Anzahl an Kindern richtig ausbilden. Da auch mein Vater in diesem Kampf gefallen war, einigte sich meine Mutter mit dem Mann von außerhalb, daß sie gemeinsam zwei der verwaisten Kinder aufnahmen und sie erzogen. Erst am nächsten Tag wurde der Verlauf des Kampfes in der großen Runde durchgesprochen, die Taktik und die Rolle jedes einzelnen Kriegers und jeder Kriegerin durchdacht. Wir überlegten, was jeder hätte besser machen können. Der Kampf war gegen eine dreifache Übermacht gegangen - wie so oft in der Geschichte des Kriegervolkes.

Zwei Tage später verabredeten wir eine gemeinsame Versammlung mit dem Bauernvolk. Von Zeit zu Zeit gab es solche Versammlung bei der Kriegervolk und Bauernvolk jene Angelegenheiten besprachen, die sie nicht innerhalb des eigenen Dorfes regeln konnten. Oft ging es um Nahrungsmittel, die dem Kriegervolk zustanden, da sie zu wenig Zeit für Feldarbeit haben oder manchmal auch nur um den Termin für das nächste gemeinsame Fest.

Obwohl das Kriegervolk und das Bauernvolk von einem Blute sind, konnte ich die Angehörigen beider Völker auf den ersten Blick unterscheiden und das nicht nur, weil Krieger und Kriegerinnen nie ihre Waffen ablegten. Die Bauern waren in ihren Bewegungen ruhiger, erdverwachsener, reagierten langsamer und friedlicher. Sie waren durch die schwere Feldarbeit muskulöser und stämmiger als wir Krieger und ihr ganzes Denken und Handeln war weicher, sorgloser. Ihre weiche, sanfte, liebevolle, friedliche Denkweise war heilig. Überall sonst in der Welt, so weit wir sie kannten, war sie ausgestorben. Sie war an den Kriegen zerbrochen, die die Länder um uns herum immer und immer wieder durchzogen. Es war die Aufgabe des Kriegervolkes, das Bauernvolk zu schützen und seinen heiligen Frieden zu bewahren, der noch aus einem ganz anderen, glücklicheren Zeitalter stammte.

Wir Krieger waren etwas größer und schlanker, so als wären wir auch körperlich an den Anforderungen des Kampfes gewachsen. Wir reagierten schnell, mit raubtierhafter Anmut oder gaben mit keiner Miene zu erkennen, was wir sahen. Unsere Sprache war härter und schärfer, obgleich sie dieselben Worte hatte, wie die des Bauernvolkes. Wir waren hart, unerbittlich, manchmal auch grausam, doch auch wir waren voller Liebe, hatten nicht die Fähigkeit verloren, anderen mit Sanftmut und Zartgefühl zu begegnen.

"Wir brauchen mehr Kinder." eröffnete eine Kriegerin die Versammlung.
"Nicht schon wieder!" protestierte eine Bäurin, die ein Baby auf dem Schoß hielt.
"Ihr Kriegerinnen könntet doch auch genug Kinder bekommen, damit ihr nicht weniger werdet." schimpfte eine andere.
"Ihr wißt, daß wir mehr Kinder bekommen als ihr Bauersfrauen. Doppelt so viele. Wir tragen jedes Kind aus, das gezeugt wird und mehr steht nicht in unserer Macht. Wir Kriegerinnen leben das gefährlichere Leben." sagte meine Mutter mit leiser, klarer, harter Stimme.
"Ach ja, und dann sollen wir euch unsere Kinder schicken, damit sie sich totschlagen lassen!" warf eine andere ein.
Eine Kriegerin brach in Tränen aus. Ihre zwölfjährige Tochter war im Kampf gefallen. Einer unserer Männer ging zu ihr hinüber und nahm sie tröstend in die Arme. Meine Mutter sagte ganz ruhig:
"Du bist ungerecht, und das weißt du."
Das Murren verstummte. Die Bauern wußten, wieviele unseres Volkes beim letzten Kampf den Tod gefunden hatten. Sie wußten, daß sie viel mehr ihrer Kinder verlören, wenn wir nicht den Paß bewachen und den Frieden des Dorfes schützen würden. Die Bauern außerhalb des Tales waren arm und wurden ständig von Räubern oder Fürsten ausgeplündert. Doch wer schickt gerne ein Kind, das er liebt, in ein hartes, gefährliches Leben? Die Bauern gaben nach und erklärten sich nach langem hin und her bereit, uns die zehn fünfjährigen Kinder zu schicken, die wir verlangten. Obwohl wir Krieger nie eine Waffe gegen das Bauernvolk erhoben hätten, blieb ihnen nichts anderes übrig. Sie waren auf unseren Schutz angewiesen, den wir ihnen nur geben konnten, wenn wir genug Krieger waren. Langsam mit lauten, festen Schritten verließen die Bauern den Versammlungsplatz. Geschmeidig und lautlos, wie schleichende Raubtiere verschwanden wir Krieger im Dunkel der Nacht.

Kersti


FA4. Kersti: Fortsetzung: Der Bauernjunge
FA2. Kersti: Vorheriges: Ein Gast
FAI. Kersti: Inhaltsübersicht: Ein Kriegerleben
FA1. Kersti: Zum Anfang: Mein erster Kampf
V4. Kersti: Merkwürdige Erfahrungen
EGI. Kersti: Kurzgeschichten
V231. Kersti: Frühere Leben von mir
Z51. Kersti: Erinnerungen an frühere Leben
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben
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