Zwei Tage später verabredeten wir eine gemeinsame Versammlung mit dem Bauernvolk. Von Zeit zu Zeit gab es solche Versammlung bei der Kriegervolk und Bauernvolk jene Angelegenheiten besprachen, die sie nicht innerhalb des eigenen Dorfes regeln konnten. Oft ging es um Nahrungsmittel, die dem Kriegervolk zustanden, da sie zu wenig Zeit für Feldarbeit haben oder manchmal auch nur um den Termin für das nächste gemeinsame Fest.
Obwohl das Kriegervolk und das Bauernvolk von einem Blute sind, konnte ich die Angehörigen beider Völker auf den ersten Blick unterscheiden und das nicht nur, weil Krieger und Kriegerinnen nie ihre Waffen ablegten. Die Bauern waren in ihren Bewegungen ruhiger, erdverwachsener, reagierten langsamer und friedlicher. Sie waren durch die schwere Feldarbeit muskulöser und stämmiger als wir Krieger und ihr ganzes Denken und Handeln war weicher, sorgloser. Ihre weiche, sanfte, liebevolle, friedliche Denkweise war heilig. Überall sonst in der Welt, so weit wir sie kannten, war sie ausgestorben. Sie war an den Kriegen zerbrochen, die die Länder um uns herum immer und immer wieder durchzogen. Es war die Aufgabe des Kriegervolkes, das Bauernvolk zu schützen und seinen heiligen Frieden zu bewahren, der noch aus einem ganz anderen, glücklicheren Zeitalter stammte.
Wir Krieger waren etwas größer und schlanker, so als wären wir auch körperlich an den Anforderungen des Kampfes gewachsen. Wir reagierten schnell, mit raubtierhafter Anmut oder gaben mit keiner Miene zu erkennen, was wir sahen. Unsere Sprache war härter und schärfer, obgleich sie dieselben Worte hatte, wie die des Bauernvolkes. Wir waren hart, unerbittlich, manchmal auch grausam, doch auch wir waren voller Liebe, hatten nicht die Fähigkeit verloren, anderen mit Sanftmut und Zartgefühl zu begegnen.
"Wir brauchen mehr Kinder." eröffnete eine Kriegerin die
Versammlung.
"Nicht schon wieder!" protestierte eine Bäurin, die ein Baby
auf dem Schoß hielt.
"Ihr Kriegerinnen könntet doch auch genug Kinder bekommen, damit
ihr nicht weniger werdet." schimpfte eine andere.
"Ihr wißt, daß wir mehr Kinder bekommen als ihr
Bauersfrauen. Doppelt so viele. Wir tragen jedes Kind aus, das gezeugt
wird und mehr steht nicht in unserer Macht. Wir Kriegerinnen leben das
gefährlichere Leben." sagte meine Mutter mit leiser, klarer,
harter Stimme.
"Ach ja, und dann sollen wir euch unsere Kinder schicken, damit sie
sich totschlagen lassen!" warf eine andere ein.
Eine Kriegerin brach in Tränen aus. Ihre zwölfjährige
Tochter war im Kampf gefallen. Einer unserer Männer ging zu ihr
hinüber und nahm sie tröstend in die Arme. Meine Mutter
sagte ganz ruhig:
"Du bist ungerecht, und das weißt du."
Das Murren verstummte. Die Bauern wußten, wieviele unseres Volkes
beim letzten Kampf den Tod gefunden hatten. Sie wußten, daß sie
viel mehr ihrer Kinder verlören, wenn wir nicht den Paß bewachen
und den Frieden des Dorfes schützen würden. Die Bauern
außerhalb des Tales waren arm und wurden ständig von
Räubern oder Fürsten ausgeplündert. Doch wer schickt gerne
ein Kind, das er liebt, in ein hartes, gefährliches Leben? Die Bauern
gaben nach und erklärten sich nach langem hin und her bereit, uns die
zehn fünfjährigen Kinder zu schicken, die wir verlangten. Obwohl
wir Krieger nie eine Waffe gegen das Bauernvolk erhoben hätten, blieb
ihnen nichts anderes übrig. Sie waren auf unseren Schutz angewiesen,
den wir ihnen nur geben konnten, wenn wir genug Krieger waren. Langsam mit
lauten, festen Schritten verließen die Bauern den Versammlungsplatz.
Geschmeidig und lautlos, wie schleichende Raubtiere verschwanden wir
Krieger im Dunkel der Nacht.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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