Der Anführer zog sein Schwert und schlug nach meinem Hals,
überzeugt, ich könnte mich so schnell nicht wehren. Es landete
drei Meter weiter im Staub. Hochmut ist ein schlechter Berater. Zuerst war
er nur verblüfft. Dann wurde ihm mit Schrecken bewußt,
daß ich immer noch ein Schwert auf ihn gerichtet hielt. Er
faßte sich wieder, richtete sich stolz auf, noch bevor ich kalt
sagte:
"Heb dein Schwert auf."
Der Anführer starrte mich erstaunt an und gehorchte. Hätte ich
ihn getötet, hätte die Garde hätte mich nicht lebend
davonkommen lassen. Wieder griff der Anführer mich an, diesmal
aufmerksam, überlegt und mit einer tödlichen Entschlossenheit.
Für einen Mann von Außerhalb war er ein guter Kämpfer.
Trotz seiner überlegenen Größe und Kraft und obwohl ich
ihn nicht ernsthaft verletzen durfte, entwaffnete ich ihn in wenigen
Sekunden. Er sah mich fragend an, als ich ihm schweigend den Weg zu seiner
Waffe freigab, überlegte wohl, was ich mit diesem Kampf bezweckte.
Ich wußte es selber nicht. Entweder bot er mir einen Lösung an,
oder ich würde sterben. Entspannt und vollkommen ausbalanziert, ganz
mit mir in Frieden, wartete ich seinen nächsten Angriff ab. Noch
zweimal entwaffnete ich ihn. Dann hatte sich etwas verändert. Kaum
merklich, eigentlich unsichtbar, doch seinem Angriff fehlte die grimmige
Härte, die Schärfe, die die vorherigen gehabt hatten. Ich blieb
unbeweglich stehen und sah meinem Gegner in die Augen. Direkt an meinem
Hals verharrte die tödliche Klinge. Ich wartete ab.
Sekundenlang standen wir da, sahen uns in die Augen, als gäbe es
nichts anderes auf der Welt. Bis er plötzlich lächelte und
fragte:
"Woher wußtest du, daß ich nicht zuschlagen
würde?"
"Ein Krieger muß sich auf sein Urteilsvermögen verlassen
können." antwortete ich mit unbewegten Gesicht.
Ich war mir nicht sicher gewesen. Und ich war noch zu angespannt, um mich
über mein Überleben freuen zu können.
"Du bist ein Krieger. Ich teile dich der Garde zu."
Ich nickte. Etwas Besseres würde ich nicht aushandeln können.
"Dann mußt du jetzt mit uns üben, Junge." sagte der
buntgekleidete Gardehauptmann.
Mir war klar, daß ich das tatsächlich mußte. Ich
überlegte, wie ich den Wagen dennoch bewachen könnte. Da trat
der Mann vor, der damals als Bote ins Kriegerdorf geschickt worden war und
bot mir an:
"Junge, wenn du nichts dagegen hast, passe ich auf, daß niemand
sich an euren Sachen vergreift."
Ich lächelte ihm zu und bedankte mich. Dann folgte ich dem
Gardehauptmann, der seine Männer zusammentrommelte. Seine Leute
schienen verblüfft. Dennoch folgten sie ohne Protest. Ich
schloß daraus, daß die Befehle des Gardehauptmanns
normalerweise so vernünftig waren, daß seine Leute ihnen, auch
wenn sie seltsam schienen, vertrauten.
Schließlich standen die Mitglieder der Garde in einem großen
Kreis abseits des Heerlagers und sahen ihren Hauptmann erwartungsvoll
an. Der erklärte:
"Wir haben ein neues Mitglied aufzunehmen."
"Ein Kind?" fragte jemand ungläubig.
"Es ist Zeit ihn zu prüfen. Rundon, leg deine Waffen ab und tritt
in den Kreis." fuhr der Gardehauptmann ungerührt fort.
Plötzlich lag eine Drohung in der Luft. Ich dachte darüber nach,
während ich die Waffen ablegte und kam zu dem Schluß,
daß, was immer auch kommen mochte, nicht gefährlich,
höchstens unangenehm sein konnte. Ich würde es als
Kampfübung betrachten und niemanden verletzen. Ich trat in den
Kreis.
Von allen Seiten stürzten sich die Männer der Garde auf mich. Ich wehrte mich nach Leibeskräften, schlug und trat um mich und entwand mich immer wieder den fest zupackenden Händen der Gardemitglieder. Erst als ich schon ziemlich erschöpft war, gelang es einem der erwachsenen Männer, mich einige Minuten so festzuhalten, daß ich mich nicht mehr herauswinden konnte. Ich ließ den Kopf sinken, entspannte mich, um mich auszuruhen und wartete, daß er einen Fehler machte.
Doch er trat erst zurück, als jemand anders sagte:
"Du kannst ihn loslassen. Es ist alles bereit."
Ich richtete mich langsam auf. Über mir schwebte in den Händen
des Gardehauptmanns ein Schwert. Das war zu theatralisch, um auf mich den
Eindruck von Gefahr zu machen. Als es sich auf mich herabsenkte hob ich
nur den Blick um dem Hauptmann in die Augen zu sehen und ließ zu,
daß das Schwert meine Schultern berührte. Blut floß aus
der Nase über mein Gesicht und ein Auge begann zuzuschwellen.
Dafür wären meine Gegner bei einem Übungskampf zuhause
getadelt worden. Die Augen sind verletzlich. Ich war nicht erschöpft
genug, um in Tränen auszubrechen.
"Du hast gekämpft wie ein wahrer Krieger und bewiesen, daß
du würdig bist, einer der unseren zu sein." sagte der
Gardehauptmann feierlich. Er überreichte mir einen Gürtel mit
den Abzeichen der Garde und sagte: "Trage es in Ehren."
"Ich habe nicht gekämpft", stellte ich richtig, "sonst
hätte es Tote gegeben."
"Ist das dein Ernst?" fragte der Gardehauptmann fassungslos.
"Ja." antwortete ich knapp und ärgerte mich sofort über
mich selbst.
Jede Fehleinschätzung des Feindes kann Leben retten.
"Bei jedem anderen würde ich das für Angeberei halten."
sagte er nachdenklich.
Ich stand auf und klopfte mir die Erde von den Kleidern. Vielleicht war
der Gardehauptmann kein Feind.
"Braucht ihr mich noch?" fragte ich.
Der Hauptmann lachte, klopfte mir auf die Schultern und sagte:
"Wenn du nichts dagegenhast, wollten wir dich jetzt in der Garde
willkommenheißen. Ich bin stolz, dich in meiner Einheit zu
haben."
Ich lächelte. Und war sofort von Männern umringt, die meine
Tapferkeit lobten und mir sagten wie gut ich gekämpft hätte. Ich
teilte ihre Meinung nicht. Kein Kind des Kriegervolkes hätte an
meiner Stelle aufgegeben. Sonst wäre es mit der flachen Klinge
verprügelt worden, bis es sich bequemte, sich wieder zu verteidigen -
zumindest hatte ich als Kind immer diese Vorstellung gehabt. Mir wurde
plötzlich klar, daß ich als Kampfwächter den Kampf nach
wenigen Sekunden abgebrochen hätte. Ein Kind, das sich nicht wehrt,
ist krank.
Nach dem kleinen, improvisierten Willkommensfest in den Zelten der Garde
begleitete mich der Gardehauptmann zum Wagen zurück. Es war schon
fast wieder Morgen. Zischend fuhren zwei Schwerter aus den Scheiden.
"Halt, wer da?" fragte eine scharfe Mädchenstimme.
Schjerra.
"Rundon," antwortete ich, "alles in Ordnung. Hast du die
Wachen aufgestellt?"
"Ja. Wer hätte es auch sonst machen sollen?" fragte sie.
Ich nickte. Von den Kriegerkindern war Schjerra am ehesten der Typ, der
erkennt was zu tun ist und Befehle erteilt. Die zweite Wache war ein
Bauernkind, das sich bewußt im Hintergrund hielt.
Mißbilligend betrachtete Schjerra mein Gesicht:
"Was hast du gemacht?"
"Eine Art Kampfübung." antwortete ich.
"Rauhe Sitten." tadelte Schjerra.
"Es ist nicht meine Aufgabe, die Sitten dieses Heeres zu
ändern." entgegnete ich.
Sie nickte und sah fragend zu meinem Begleiter hin.
"Darf ich euch ein paar neugierige Fragen stellen, Kinder?" fragte
der Gardehauptmann.
"Gerne. Komm mit ans Feuer." sagte ich.
Schjerra sah verwirrt aus, fachte aber schweigend das Feuer an, das vom Abendessen her noch schwach glimmte. Dann stellte sie den Topf mit dem Teewasser fürs Frühstück auf.
"Ich hatte gedacht, daß der zweite große Junge dein
Stellvertreter wäre, Rundon."
"Wenn man Koresch mit den ganz Kleinen alleineließe, würde
er alles angemessen ordnen, ausgenommen Dinge, die Kampf betreffen. Er
ist kein Krieger." sagte ich.
"Aber Schjerra ist ein Krieger." stellte der Gardehauptmann
fest.
"Schjerra ist eine Kriegerin." bestätigte ich.
"Dann stimmt es also, daß das Kriegerdorf eine Frau zur
Anführerin hat?" fragte er.
"So ist es." bestätigte ich.
"Das muß eine ungewöhnliche Frau sein." meinte der
Hauptmann.
"Niemand würde den gewöhnlichsten des Dorfes zum
Anführer wählen." stellte ich fest.
Ein Text von Kersti Nebelsiek, Alte Wilhelmshäuser Str. 5, 34376 Immenhausen - Holzhausen, Tel.: 05673/1615, Internetseite: https://www.kersti.de/ E-Mail an Kersti
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