erste Version: 8/2023
letzte Bearbeitung: 8/2023

Das Sternenreich der Zuchtmenschen: Das Kind, das intelligenter sein wollte

F2501.

Das nächste Thema, was mich ärgerte war, daß ich dumm war

Vorgeschichte: F2500. Toran: Mein Vater hatte mir erklärt, daß er das Geld brauchte, um das Abitur meines älteren Bruders zu bezahlen

Toran erzählt:
Die Zeit der endgültigen Operationen war gekommen, sobald der Arzt festgestellt hatte, daß ich nicht mehr weiterwachse. Wie schon bei der Kastration hatte ich ein mulmiges Gefühl, als ich in den Umkleideraum kam, wo einer der gleichaltrigen Zuchtsklaven, der die Operationen gerade hinter sich hatte, auf uns wartete, um unsere Fragen zu beantworten.

Ich glaube, daß er jede Frage ehrlich beantwortet hat, trotzdem hatte ich die Schmerzen, die auf mich zukamen, bei weitem unterschätzt und deshalb jede Anweisung, die ich bekam, gehorsam ausgeführt. Als dann die Drähte eingepflanzt wurden, wäre ich am liebsten weggerannt, aber da konnte ich mich wegen dem Lähmstrahler nicht mehr bewegen. Alles versank in Schmerzen. Erst nach einer Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, fühlte ich außer Schmerzen wieder etwas anderes. Irgendjemand streichelte mich und sagte mir, ich solle wieder zu mir kommen, das Leben würde doch weitergehen. Es dauerte dann noch eine Zeit, die mir viel zu lang vorkam, bis ich wieder gesund genug war, um mich gezielt zu bewegen und wirklich etwas zu tun. Mir wurde immer wieder gesagt, ich solle nicht aufgeben, das Leben würde weitergehen und es würde wieder besser.

Danach wurde ich der Arbeitsgruppe eines erwachsenen Zuchtmenschen zugeteilt, der mir meine Arbeit beibringen sollte. Er war netter zu mir, als es mein Vater gewesen war. Seltsamerweise war ich aber auch rebellischer, als ich es in meiner Kindheit gewesen war. Ich warf ihm jedenfalls bald vor, daß sie mich betrogen hätten. Das ganze Leben würde nur noch aus Schmerzen bestehen.
"Das ist jetzt noch so. Aber innerhalb eines Monats werden sie fast vollständig verschwinden und du wirst dich wieder gut fühlen. Dann bleibt es etwa zwanzig Jahre gut und danach werden die Schmerzen wieder stärker und du wirst an der Vergiftung durch die Drähte, die dir eingepflanzt worden sind, sterben." antwortete er.
Daß er freundlich und verständnisvoll reagierte, bewirkte nur, daß ich noch wütender wurde und ihn erst richtig beschimpfte.

Das nächste Thema, was mich ärgerte war, daß ich dumm war. Das sagte niemand so zu mir, aber ich merkte doch, daß die Zuchtsklaven viel kompliziertere Zusammenhänge einfach so verstanden und sich sehr bemühen mußten, um sich einfach genug auszudrücken, daß ich verstand, was sie von mir wollten. Ich warf ihm jedenfalls irgendwann vor, er würde mich verachten, weil ich dumm bin. Er erklärte mir immer wieder geduldig, daß ich ein Mensch wäre und daß ich gut genug bin.

Die Schmerzen verschwanden wirklich innerhalb eines Monats, auch wenn ich mich nie wieder so gesund und voller Lebensenergie fühlte, wie ich es als Kind gewesen war. Aber ich entwickelte eine gewisse Akzeptanz dafür, daß das Leben nicht einfach war, ohne wieder diese fraglose Unterwerfung an den Tag zu legen, die ich als Kind gehabt hatte, als mein Vater mich einfach verkauft hatte, um die Ausbildung meines älteren Bruders zu finanzieren. Die Zuchtmenschen lebten mir nämlich ein besseres Beispiel vor, indem sie sich bemühten, jedes der Sklavenkinder in der Station so gut wie möglich zu schützen und zu jedem liebevoll und freundlich waren. Ich kam letztlich zu dem Schluß, daß ich als einer von ihnen glücklicher war, als ich es als Kind gewesen war, weil sie mir das Gefühl vermittelten, daß ich wertvoll und wichtig war, auch wenn ich im Vergleich zu ihnen wenig konnte und nur Hilfsarbeiten leistete.

Als Erwachsener erlebte ich natürlich auch junge Leute, die genauso wütend und verzweifelt reagierten, wie ich es anfangs getan hatte. Ich verhielt mich dann ganz ähnlich wie die Zuchtsklaven, denn ich hatte einiges begriffen. Zunächst einmal gab es keine Möglichkeit sich den Operationen zu entziehen, aber wenn man versuchte wegzulaufen, wurde man mit dem Strafer gefoltert, bis man sich nicht mehr rühren kann. Daher bemühten wir uns, die Kinder so zu behandeln, daß sie es erst gar nicht versuchen, sondern sich anstandslos auf den Operationstisch legten, wenn sie die Anweisung dazu bekamen. Es gab schon genug Grausames in unseren Leben, mehr davon braucht kein Mensch! Dazu gehörte dann auch, daß die zuständigen Ärzte, die selber Zuchtmenschen waren, jeweils die Kinder aussuchten, damit sie die Operationen erklären, die damit am Besten zurechtgekommen waren. Das war natürlich eine gewissen Verharmlosung der Tatsachen aber auch keine direkte Lüge. Jedenfalls freute ich mich, wenn ich Kindern etwas beibringen sollte, weil ich mich gerne um die Jüngeren kümmerte. Wenn sie mich dann genauso ausschimpften, wie ich das mit dem älteren und viel intelligenteren Techniker getan hatte, bemühte ich mich ebenso geduldig und freundlich zu sein wie er damals, weil ich mich erinnerte, daß das doch das gewesen war, was mir geholfen hatte, mit meinem Leben zurechtzukommen.

Meine Minderwertigkeitskomplexe wegen meiner geringeren Intelligenz erhielten regelmäßig neues Futter. Mit jedem Jahrgang wurden die Zuchtmenschenkinder intelligenter. Ich dagegen durfte nur die vergleichsweise einfachen Routinetätigkeiten machen, weil ich so komplexe Zusammenhänge, wie man für manche Tätigkeiten verstehen können mußte, einfach nicht so schnell nachvollziehen konnte, wie gefordert.

Kersti

Fortsetzung:
F2502. Toran: Meine Minderwertigkeitskomplexe wegen meiner geringeren Intelligenz waren allein mein Thema

Quelle

Erinnerung an ein eigenes früheres Leben.
V12. Kersti: Hauptfehlerquellen bei Erinnerungen an frühere Leben