Öfters mache ich den Vorschlag, in Gedanken durchzuspielen,
welche Wirkung es hätte, wäre eine verrückte Theorie
wahr. Immer wieder bekam ich darauf die Antwort:
"Aber es kann doch nicht wahr sein!" und der Betreffende
weigerte sich. Woher will er das wissen, wenn er sich nie
überlegt hat, wie eine Welt aussähe, in
der das wahr wäre? Will er es überhaupt wissen?
Wenn man in unserer Gesellschaft verbreitete Verhaltensweisen
betrachtet, stellt man fest, daß es tatsächlich Denkverbote
gibt. Erzähle mal in der Schule vor der gesamten Klasse, daß
Du Jesus kanntest... - Das häufigste Ergebnis dieses Experiments
dürfte sein, daß man vom Rest der Klasse umgehend für
verrückt erklärt wird. Wenn man hartnäckig dabei bleibt,
ist die Gefahr groß, daß das als Vorwand für
Ausgrenzung genommen wird. So kann man beispielsweise auch den Link zu
mir von
http://www.absurdeidee.de/ einordnen. Allerdings
ist das eine ziemlich harmlose Variante.
Ich konnte schon wesentlich heftigere Reaktionen und bösartigere
Angriffe erleben, wenn ich eine unbequeme Meinung vertreten habe.
Beispielgeschichte, Kersti:
Das Atomkraftwerkereferat
Eine köstliche Reaktion erhielt ich von einem Physiklehrer.
Die Geschichte begann damit, daß er uns am Anfang des
Schulhalbjahres mitteilte, daß jeder von uns ein Referat halten
sollte. Er verteilte die Themen an die Schüler - nur war keines
darunter, das mich genug interessierte, daß ich darüber
einen Vortrag hätte halten wollen. Außerdem hatte ich
keinerlei Interesse daran, mir zehn vorgegebene Seiten durchzulesen
und dann die Meinung des Autors wiederzugeben. Deshalb
äußerte ich den Wunsch, über ein anderes Thema zu
referieren. Nach einem kurzen Gespräch einigten wir uns,
daß ich mich mit Atomkraftwerken beschäftigen
würde.
Ich wußte, daß ich mir etwas Riskantes vorgenommen
hatte, denn ich kannte die Neigung des Lehrers, alles, was für
Umweltschutz eintrat, als linke subversive Elemente zu beschimpfen.
Aber ein Alibiargument für Atomkraftwerke - so dachte ich mir -
würde wohl schon zu finden sein - auch wenn ich seit ich elf war
genug gelesen hatte, um zu wissen, daß die
Theorie, daß sie sinnvoll einzusetzen wären, schon zu
damaligen Zeit - 1989 - sich längst als falsch erwiesen
hatte.
Mit Feuereifer ging ich daran, Material zusammenzusuchen. Zuerst
sichtete ich das mir schon bekannte: Mehrere Jahrgänge
der Zeitschrift "Natur", die Blätter des BUND (Bund
für Umwelt- und Naturschutz Deutschland), einige Artikel aus der
Zeitschrift "Idee und Bewegung", eine wissenschaftliche
Studie über Leukämie im Umkreis von Atomkraftwerken, eine
weitere Studie, die Anhand der amtlichen Umgebungsüberwachung des
Kernkraftwerkes Obrigsheim nachwies, daß die Grenzwerte für
die radioaktive Kontamination der Umgebung beinahe ständig
um ein Vielfaches überschritten wurden. Außerdem mehrere
unterschiedlich alte Broschüren, die Kernkraftwerksbetreiber
herausgaben, um ihren Standpunkt - natürlich FÜR
Kernkraftwerke - möglichst überzeugend darzustellen.
Zusätzlich schrieb ich jeden mir bekannten Umweltschutzverband an
und bat um weitere Informationen. Kurz zusammengefaßt hatte ich
mir ein vielfaches der Arbeit gemacht, die meine Mitschüler
geleistet hatten.
Mein Alibiargument für Atomkraftwerke fand ich jedoch nicht.
Jedes Argument der Betreiber konnte ich anhand mir bekannter
wissenschaftlicher Studien widerlegen.
Da mir das Thema zu wichtig erschien, um dabei zu lügen, gab ich
meine Argumente so wieder, wie sie sich gezeigt hatten:
mein Vortrag enthielt die Argumente der Atomkraftwerksbetreiber - und
zu jedem einzelnen eine stichhaltige Widerlegung.
Mein damaliger Vortrag:
VA55.
Vor und Nachteile von Atomkraftwerken
Der Lehrer hielt seinen altbekannten Vortrag über linke subversive
Elemente die Bomben legen und die Wirtschaft ruinieren - aber es
gäbe auch Idealisten. Dann empfahl er uns, das Denken den
Fachleuten aus der Wirtschaft zu überlassen.
Ich war sprachlos. Wollte er allen Ernstes nicht seinen eigenen Kopf
benutzen? Ich hatte die Argumente der Betreiber gelesen -
unter anderem stand darin, daß die EAM (Energie
Aktiengesellschaft Mitteldeutschland) beim Bau ihres ersten
Atomkraftwerks beinahe pleite gegangen wäre. Die älteren
Broschüren argumentierten auch sehr offensiv und überzeugt
für die Wirtschaftlichkeit und den Nutzen der Atomkraft. Neuere
Broschüren wurden in ihrer Argumentation immer schwammiger und
zurückhaltender. Ich deutete das so, daß die Betreiber
inzwischen selbst nicht mehr so recht überzeugt waren, es sich
aber nicht hätten leisten können, ihre teuren Atomkraftwerke
stillzulegen, bevor sie sich einigermaßen amortisiert hatten.
Deshalb mußten sie offiziell dafür sein, auch wenn sie
selber nicht mehr daran glaubten. Ich dachte hierüber nach,
wußte aber nicht, wie ich diese Gedanken in einer so abwertenden
Athmosphäre formulieren sollte.
Meine Deutung dieser Informationen hat sich inzwischen insofern
bestätigt, daß seither in Deutschland kein einziges neues
Atomkraftwerk gebaut wurde.
Wenn man es vom Standpunkt Gesundheit betrachtet, halte ich es für
eine Fehlentscheidung, die Atomkraftwerke weiterzubetreiben. Sinnvoller
wäre es gewesen, ihre Betreiber irgendwie zu entschädigen
oder die Kosten durch eine allgemeine Strompreiserhöhung zu
tragen. Vermutlich aber waren unsere Politiker der Ansicht, der Staat
könne diese Kosten nicht tragen. - Man denke an unsere
Staatsverschuldung.
Wer könnte daran Interesse haben, daß Menschen nicht
selbstständig denken? Nicht die Eltern, die ihre Kinder ja lieben,
nicht die Lehrer, die Ihren Beruf wählten, um Kinder etwas zu
lehren... könnte jemand Interesse daran haben? Oder ist das alles
nur ein unglückliches Zusammentreffen von Umständen?